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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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Le­ben be­dingt ist und man ihn des­halb nicht be­grei­fen kann.
    »Wirk­lich!« sag­te der blei­che Mann.
»Glau­ben Sie mir! Im nächs­ten Jahr kön­nen wir wie­der Sei­de aus Ly­on
im­por­tie­ren.«
    Ich war selt­sam be­wegt. Der Be­griff des
zeit­lo­sen Va­ku­ums, in dem das Emi­gran­ten­da­sein zu schwe­ben schi­en, schwank­te
auf ein­mal. Selbst die sinn­lo­se Be­zie­hung auf Lyo­ner Sei­de paß­te hin­ein, Uh­ren
be­gan­nen zu ti­cken und Glo­cken zu schla­gen. Ein Film, der still­ge­stan­den hat­te,
fing wie­der an, sich zu dre­hen, ra­scher und ra­scher, rück­wärts und vor­wärts in
ei­ner ver­rück­ten Se­quenz, als lie­fe ei­ne Spu­le oh­ne Kon­trol­le. Ich be­griff, daß
ich trotz al­ler Nach­rich­ten in den Zei­tun­gen nie­mals ernst­haft ge­glaubt hat­te,
daß der Krieg je­mals zu En­de ge­hen kön­ne. Wenn es wirk­lich so wä­re, wür­de et­was
an­de­res, noch Schreck­li­che­res au­to­ma­tisch fol­gen. Ich war es zu sehr ge­wohnt,
so den­ken zu müs­sen. Die­ser klei­ne blei­che Mann, für den das En­de des Krie­ges
be­deu­te­te, daß man wie­der Sei­de aus Ly­on im­por­tie­ren kön­ne, nicht mehr und
nicht we­ni­ger, über­zeug­te mich ge­ra­de we­gen sei­nes Kre­ti­nis­mus mehr als zwei
Feld­mar­schäl­le und ein Prä­si­dent. Sei­de aus Ly­on – Wär­me des Le­bens, das
sich nicht mehr zu ängs­ti­gen braucht!
    Na­ta­scha kam her­aus. Sie trug ein
eng­ge­wi­ckel­tes wei­ßes Abend­kleid, des­sen ei­ne Schul­ter frei war, lan­ge wei­ße
Hand­schu­he und das Dia­dem der Kö­ni­gin Eu­ge­nie von van Cleef und Ar­pels. Es gab
mir förm­lich einen Schlag aufs Herz. Al­les kam zu­sam­men: die Nacht vor­her und
der Kon­trast die­ser scharf­be­leuch­te­ten, un­rea­lis­ti­schen Er­schei­nung mit den
küh­len Schul­tern in die­sem künst­lich küh­len Raum; der Auf­ruhr, in den mich der
Ge­dan­ke an das En­de des Krie­ges ver­setzt hat­te, und so­gar das Dia­dem in
Na­ta­schas Haa­ren, das schim­mer­te, als ge­hö­re es auf ein­mal sym­bo­lisch zur
Sta­tue der Frei­heit im Ha­fen von New York – »Sei­de aus Ly­on«, sag­te der
blei­che Mann ne­ben mir. »Un­ser letz­ter Bal­len.«
    »Wirk­lich?«
    Ich sah Na­ta­scha an. Sie stand jetzt still
und sehr ge­sam­melt in dem wei­ßen Licht, und mir war, als wä­re sie ei­ne schma­le
und lieb­li­che Ko­pie der Rie­sen­sta­tue aus Erz, die vor dem Meer ihr Licht in die
Stür­me des At­lan­tiks hin­aus­hielt, un­er­schro­cken und nicht so wie das ge­wal­ti­ge
Vor­bild – ei­ne Mi­schung von Brun­hil­de und ei­nem re­so­lu­ten fran­zö­si­schen
Markt­weib –, son­dern eher wie ei­ne Dia­na, die aus den Wäl­dern ge­tre­ten
war, be­reit zu kämp­fen und an­zu­grei­fen. Aber auch sie ge­fähr­lich in al­ler An­mut
und be­reit, ih­re Frei­heit zu ver­tei­di­gen.
    »Wie ge­fällt Ih­nen der Rolls?« frag­te
je­mand, der sich auf einen Stuhl ne­ben mich ge­setzt hat­te.
    Ich sah mich um. »Sind Sie der Be­sit­zer?«
    Der Mann nick­te. Er war groß, dun­kel und
jün­ger, als ich ihn mir vor­ge­stellt hat­te. »Fra­ser«, sag­te er. »Na­ta­scha woll­te
sie vor ei­ni­gen Ta­gen schon ein­mal mit­brin­gen.«
    »Ich hat­te kei­ne Zeit«, sag­te ich. »Vie­len
Dank für die Ein­la­dung.«
    »Wir kön­nen das heu­te nach­ho­len«, er­wi­der­te
er. »Ich ha­be schon mit Na­ta­scha ge­spro­chen. Wir ge­hen zu Lüchows. Ken­nen Sie
das?«
    »Nein«, sag­te ich über­rascht. Ich hat­te mit
dem King of the Sea ge­rech­net und war kei­nes­wegs ent­zückt, nicht al­lein mit ihr
zu sein, aber ich wuß­te nicht, wie ich mich ret­ten konn­te. Wenn Na­ta­scha
zu­ge­sagt hat­te, konn­te ich nicht nein sa­gen, oh­ne al­bern zu sein. Ich war nicht
ganz si­cher, ob sie es ge­tan hat­te oder nicht, ich hielt es nicht für
aus­ge­schlos­sen, daß sie einen Mr. Whym­per her­an­brin­gen woll­te, aber ich woll­te
ver­dammt sein, wenn ich mich mit die­sem Mann auf so et­was ein­lie­ße. Er soll­te
sich sei­ne Sil­vers' sel­ber be­schaf­fen. – »Al­so gut, dann bis nach­her.«
    Fra­ser schi­en Au­to­ri­tät ge­wohnt zu sein.
Vor al­lem hat­te ich frei­lich et­was da­ge­gen, von ihm und Na­ta­scha ein­ge­la­den zu
wer­den.

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