E.M. Remarque
entfernten Verwandten dieser Räuberrasse bloßstellte. So
versucht man nur einen Rivalen zu schlachten, dachte ich mir.
»Wie wäre es mit einem Matjeshering als
Vorspeise«, erkundigte sich Fraser. »Er ist hier besonders gut. Mit einem
Schluck heimatlichen Steinhägers, den es hier auch noch gibt?«
»Prachtvoll«, erwiderte ich. »Mir leider
vom Arzt verboten.«
Natascha fiel mir, wie erwartet, prompt in
die Flanke und verlangte Hering mit roten Beten, eine weitere deutsche
Spezialität. Die Kapelle spielte die schmalzigsten und idiotischsten
Rheinlieder, die ich je gehört habe. Es war eine typische Kleinstadt-Touristenatmosphäre,
die auf mich so sonderbar wirkte, weil ein Teil der Gäste sie ernst nahm und
für poetisch hielt. Ich wunderte mich über die Toleranz der Amerikaner.
Der Wein machte mich friedlich, und ich
begann, Fraser mit leichtem Sarkasmus zu bewundern. Er erkundigte sich nämlich
danach, ob er mir vielleicht helfen könnte, und legte mich auf diese Weise
wieder auf den Emigranten-Grill, während er sich selbst als einen bescheidenen
Gott Vater aus Washington präsentierte, der gern irgendwelche Schwierigkeiten
für mich glätten würde, wenn es nötig wäre. Ich antwortete mit einer
begeisterten Ode auf Amerika und erklärte, daß alles in Ordnung sei, vielen
herzlichen Dank. Mir war nicht sehr wohl zumute dabei, ich legte keinen Wert
darauf, daß Fraser sich zu sehr für meine Papiere interessierte, zumal ich
nicht wußte, ob er wirklich Einfluß hatte oder nur so tat.
Der Rehbraten war sehr gut, ebenso die
Kartoffelpuffer. Ich begriff, warum das Lokal so voll war; es war
wahrscheinlich das einzige seiner Art in New York. Ich haßte mich selbst, weil
ich nicht genug Humor für die Situation aufbrachte. Natascha schien nichts zu
merken. Sie verlangte rote Grütze. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn sie
hinterher Kaffee und Kuchen im Café Hindenburg verlangt hätte. Ich konnte mir
vorstellen, daß sie ärgerlich auf mich war, weil sie dachte, ich hätte sie mit
meiner Stupidität in diese Lage gebracht. Immerhin, sie war nicht das erstemal
mit Fraser aus, und der tat alles, um mir das auch klarzumachen. Ich aber wußte,
daß ich das letzte Mal mit ihm zusammen war. Ich hatte keine Lust, von
einzelnen Amerikanern unter die Nase gerieben zu bekommen, daß ich ihnen, jedem
von ihnen, eigentlich dankbar sein müßte, im Lande bleiben zu dürfen. Ich war
der Regierung dankbar, aber nicht Fraser, der nichts für mich getan hatte.
»Wie wäre es mit einem Nachttrunk im
Morocco?«
Das hatte mir noch gefehlt! Ich hatte mich
lange genug als geduldeter Emigrant gefühlt. Ich wäre nicht überrascht gewesen,
wenn Natascha zugesagt hätte. Sie liebte El Morocco. Aber sie lehnte ab. »Ich
bin müde, Jack«, sagte sie. »Ich hatte einen anstrengenden Tag. Bring mich nach
Hause.« Wir traten in die schwüle Nacht. »Wollen wir zu Fuß gehen?« fragte ich
Natascha.
»Aber ich bringe Sie doch heim«, sagte Fraser.
Das war, was ich erwartet hatte. Er wollte
mich absetzen und dann Natascha bereden, mit ihm weiterzufahren. Ins Morocco
oder zu sich nach Hause. Wer wußte das? Und was ging es mich an? Hatte ich
irgendwelche Rechte auf Natascha? Was war das überhaupt für ein Wort: Rechte?
Wenn etwas dieser Art existierte, hatte dann nicht er welche? Und ich war der
Eindringling? Der Eindringling, der außerdem noch beleidigt war. »Soll ich Sie
auch mitnehmen«, fragte Fraser nicht allzu freundlich.
»Ich wohne nicht weit. Ich kann gehen«,
erwiderte ich widerwillig. Mir blieb nichts anderes übrig, glaubte ich, wenn
ich mich nicht als zähes Anhängsel noch weiter erniedrigen wollte.
»Unsinn«, sagte Natascha. »Bei der Hitze
laufen! Setz uns bei
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