E.M. Remarque
Portiersdienst hatte. »Wodka?« fragte er. »Bei
dieser Hitze? Es gibt ein Gewitter. Verfluchte Schwüle. Ich wollte, wir hätten
wenigstens den Schatten einer Klimaanlage hier. Diese verdammten Ventilatoren
rühren nur in der Luft herum wie in einem Kuchenteig.«
Ich ging zurück. »Bevor wir uns streiten,
Natascha«, sagte ich, »denken wir doch darüber nach, wohin wir gehen können.
Wir wollen lieber im Kühlen streiten als in der Hitze. Ich gebe das europäische
Dorf und den See auf. Außerdem habe ich Geld. Silvers hat mir eine Prämie
gezahlt.«
»Wieviel?«
»Zweihundertfünfzig Dollar.«
»Schäbig!« sagte Natascha. »Fünfhundert
wären angemessen gewesen.«
»Unsinn. Er hat mir erklärt, er schulde mir
eigentlich gar nichts, er kenne Mrs. Whymper schon seit langem. Das hat mich
geärgert. Nicht die Summe. Die fand ich nicht schlecht. Ich kann es nur nicht
leiden, wenn sie mir wie ein Geschenk überreicht wird.«
Natascha setzte ihr Glas nieder. »Konntest
du das immer nicht leiden?« fragte sie.
»Das weiß ich nicht«, erwiderte ich
überrascht. »Wahrscheinlich nicht. Warum?«
Sie sah mich aufmerksam an. »Ich glaube,
vor ein paar Wochen wäre es dir noch gleichgültig gewesen.«
»Meinst du? Vielleicht. Ich habe keinen
Humor, sicher liegt es daran.«
»Du hast durchaus Humor. Es ist möglich,
daß du heute keinen hast.«
»Wer hat schon bei solch einer Schwüle
Humor?«
»Fraser«, sagte Natascha. »Er sprudelt nur
so über bei diesem Wetter.«
Ich dachte an viele Dinge zur selben Zeit
und sagte nichts von dem, was ich sagen wollte. »Er hat mir sehr gut gefallen«,
erklärte ich statt dessen ruhig. »Ich glaube schon, daß er sprudelt. Er war
auch neulich sehr amüsant.«
»Gib mir noch einen halben Wodka«, sagte
Natascha lachend und beobachtete mich.
Schweigend goß ich ihr Glas halbvoll.
Sie stand auf und streifte mich. »Wohin
willst du gehen?« fragte sie.
»Ich kann dich nicht auf mein Zimmer
schleppen. Zu viele Leute.«
»Schlepp mich in ein kühles Restaurant.«
»Gut. Nicht zu den Fischen im ›King of the
Sea‹. In ein kleines französisches Restaurant in der Dritten Avenue. Das
Bistro.«
»Teuer?«
»Nicht für einen Mann, der
zweihundertfünfzig Dollar besitzt. Geschenkt oder nicht geschenkt. Er hat sie.«
Ihre Augen wurden zärtlich. »So ist es
recht, Darling«, sagte sie. »Zum Teufel mit der Moral!«
Ich nickte und hatte das Gefühl,
verschiedenen Gefahren nur knapp entkommen zu sein.
***
Es blitzte, als wir aus dem
Restaurant kamen. Windstöße wirbelten Staub und Papierfetzen auf. »Es geht
los!« sagte ich. »Wir müssen sehen, daß wir ein Taxi schnappen!«
»Wozu? Die Taxis riechen nach Schweiß. Laß
uns gehen.«
»Es wird regnen. Du hast keinen Regenmantel
und keinen Schirm. Es wird ein Wolkenbruch.«
»Um so besser. Ich wollte meine Haare
ohnehin heute abend waschen.«
»Du wirst klatschnaß werden, Natascha.«
»Dies ist ein Nylonkleid. Man braucht es
nicht einmal aufzubügeln. Das Restaurant war zu kühl. Laß uns gehen! Wenn es
schlimmer wird, können wir uns in einen Hausflur stellen. Der Wind! Wie er
stößt! Er regt mich auf!«
Wir gingen dicht an den Häusern entlang. Es
blitzte plötzlich überall, die Wolkenkratzer hinauf, als kämen die Blitze aus
dem Röhrengewirr und dem Kabelnetz unter dem Asphalt. Gleich darauf begann es zu
regnen, große dunkle Flecken, über den Asphalt gestreut, die man sah, bevor man
sie auf der Haut fühlte.
Natascha hielt ihr Gesicht in den Regen.
Ihr Mund war halb offen, ihre Augen waren geschlossen. »Halt mich fest«, sagte
sie.
Der Sturm wurde stärker. Die Trottoirs
waren auf einmal leergefegt. In den Häusereingängen drängten sich die Menschen,
hier und da huschten ein paar Gestalten gebückt und flüchtend an den Häusern
entlang, die plötzlich naß glänzten im
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