E.M. Remarque
können Sie nicht verstehen, Sie bürgerlicher Ohrenwurm! Es
war mir schon in Frankreich egal. Glauben Sie, ich hätte das alles sonst
gemacht? Ich bin kein verblasener Menschenfreund! Es ist mir auch egal, was
passiert! Sollten Sie irgend etwas unternehmen, was gegen mich geht, so laufe
ich nicht zum Richter, Hirsch! Ich erledige Sie selbst. Und das wäre nicht das
erstemal. Was wissen Sie denn von reiner Verzweiflung? Haben Sie immer noch
nicht gelernt, für wie wenig heute getötet wird?« Kahn machte eine Gebärde des
Ekels. »Wozu brauchen wir all das? Es geht Ihnen nicht an die Nieren. Sie
zahlen einen kleinen Teil des Geldes zurück, das Sie schulden, sonst nichts.«
Hirsch sah wieder aus, als kaute er
lautlos. »Ich habe kein Geld zu Hause«, sagte er schließlich.
»Sie können mir einen Scheck geben.«
Hirsch ließ den Hund plötzlich los. »Kusch,
Harro!« Er öffnete eine Tür. Der Hund verschwand. Hirsch schloß die Tür wieder.
»Endlich«, sagte Kahn.
»Ich werde Ihnen keinen Scheck geben«,
erklärte Hirsch. »Sie verstehen das doch?«
Ich sah ihn interessiert an. Ich habe nicht
geglaubt, daß er so rasch nachgeben würde. Vielleicht hatte Kahn recht, die
anonyme Platzangst hatte sich mit dem wirklichen Schuldgefühl gemischt und
Hirsch unsicher gemacht. Er schien rasch zu denken und ebenso rasch zu
handeln – wenn er nicht eine Finte schlagen wollte.
»Ich komme morgen wieder«, sagte Kahn.
»Und die Papiere?«
»Ich vernichte sie morgen vor Ihren Augen.«
»Ich gebe das Geld nur gegen die Papiere.«
Kahn schüttelte den Kopf. »Damit Sie
erfahren, wer alles bereit ist, gegen Sie auszusagen? Ausgeschlossen!«
»Wer sagt mir dann, daß es die wirklichen
Papiere sind?«
»Ich«, erwiderte Kahn. »Das muß Ihnen
genügen.«
Hirsch kaute wieder lautlos. »Gut«, sagte
er dann sehr leise.
»Morgen um dieselbe Zeit.« Kahn stand von
seinem goldenen Stuhl auf.
Hirsch nickte. Er war plötzlich naß vor
Schweiß. »Mein Sohn ist krank«, flüsterte er. »Mein einziger Sohn! Und
Sie – Sie sollten sich schämen!« sagte er plötzlich. »Man ist
verzweifelt – und Sie!«
»Ich hoffe, daß Ihr Sohn wieder gesund
wird«, erwiderte Kahn ruhig. »Doktor Gräfenheim wird Ihnen sicher sagen können,
wer der beste Arzt ist.«
Hirsch erwiderte nichts. Sein Gesicht
zeigte eine sonderbare Mischung von Haß und Schmerz; der Haß war in den Augen.
Er kam mir auch gebeugter vor als am Anfang, aber ich hatte oft gesehen, daß
der Schmerz ums Geld genau so wirklich sein kann wie der um wirkliches Leiden.
Es konnte darum auch sein, daß für Hirsch eine geheimnisvolle Verstrickung
bestand zwischen dem Leiden seines Sohnes und seinem Betrug an dem Arzt
Gräfenheim und daß er deshalb so rasch nachgegeben hatte und daß diese Ohnmacht
den Haß noch verstärkte. Er tat mir merkwürdigerweise fast leid.
***
»Ich bin nicht einmal
sicher, ob der Sohn wirklich krank ist.«
»Das glaube ich schon. Ein Jude macht keine
makabren Witze auf Kosten seiner Familie.«
Kahn sah mich amüsiert an. »Ich bin nicht
einmal sicher, ob er überhaupt einen Sohn hat«, erklärte er.
Wir traten in die Waschküchenschwüle der
Straße. »Glauben Sie, daß Hirsch morgen Schwierigkeiten machen wird?« fragte
ich.
»Ich glaube nicht. Er hat Angst um seine
Einbürgerung.«
»Weshalb haben Sie mich eigentlich
mitgenommen? Ich war doch eher ein Hindernis. Für Sie auch, da Hirsch vor
Zeugen vorsichtig sein mußte. Ohne mich hätten Sie es vielleicht leichter
gehabt.«
Kahn lachte. »Kann sein, aber nicht viel.
Dafür hat ihr Äußeres sehr geholfen.«
»Warum?«
»Weil Sie aussehen wie ein Gewittergoi!
Wissen Sie, was das ist? Das, was sich die Krüppel und Schwarzhaarigen der
Regierung drüben als Arier vorstellen! Ein Jude und ein Jude – die
verstehen sich und nehmen sich
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