E.M. Remarque
silbrigen Licht des prasselnden Regens,
der den Asphalt in einen aufschäumenden, flachen, dunklen See verwandelte, auf
den durchsichtige Lanzen und Pfeile herniederprasselten.
»Mein Gott!« sagte Natascha plötzlich. »Du
hast ja deinen neuen Anzug an!«
»Zu spät!« erwiderte ich.
»Ich habe nur an mich gedacht! Ich habe
nichts an.« Sie hob ihr Kleid bis zur Hüfte. Sie trug ein kleines weißes
Höschen und keine Strümpfe, und ihre Schuhe waren hochhackige weiße
Lacksandalen, um die der Regen sprühte. »Aber du! Dein noch unbezahlter blauer
Anzug!«
»Zu spät!« erwiderte ich. »Außerdem kann
ich ihn trocknen und plätten. Er ist übrigens bezahlt. Wir können also weiter
den Elementen panisch zujubeln! Zum Teufel mit dem blauen Anzug des Bürgers!
Laß uns im Brunnen vor dem Plaza-Hotel baden.«
Sie lachte und riß mich in einen
Hauseingang. »So retten wir das Futter und das Roßhaar! Die kann man nicht
aufbügeln. Gewitter kommen öfter als Anzüge. Und panisch kann man sich auch in
einem geschützten Hauseingang fühlen. Wie das blitzt! Und wie kühl es geworden
ist! Das macht der Wind!«
Wie praktisch sie war, ohne das hinreißende
Gefühl zu verlieren, dachte ich und küßte ihr warmes, kleines Gesicht. Wir
standen zwischen den Schaufenstern von zwei Geschäften. Auf der einen Seite
waren Korsetts für ältere, füllige Damen ausgestellt, über die die Blitze
zuckten; auf der anderen befand sich ein Aquariengeschäft mit einer
Tierhandlung. Eine ganze Wand stand voll mit Regalen beleuchteter Aquarien mit
ihrem grünen, seidigen Licht und den bunten Fischen. Ich hatte selbst in meiner
Jugend Fische gezüchtet und erkannte einige wieder. Es war ein sonderbares
Gefühl, so überraschend ein Stück Kindheit vor mir aufschimmern zu sehen, still
und wie aus einer Welt jenseits aller Horizonte, die ich noch kannte, lautlos
aufgetaucht, umlodert von Blitzen und völlig unberührt von ihnen, so geblieben,
wie es war, durch eine sanfte Magie, nicht gealtert, nicht verschmiert mit Blut
und unzerstört. Ich hielt Natascha im Arm und spürte ihre Wärme, und
gleichzeitig war ein Teil von mir weit entfernt über einen vergessenen Brunnen
gebeugt, der längst nicht mehr rauschte, und horchte auf eine Vergangenheit,
die mir fremd geworden und deshalb um so hinreißender war. Tage an Bächen, in
Wäldern, an einem kleinen See, über dem Libellen zitternd im Fluge innehielten.
Abende in Gärten, über deren Mauern der Flieder hing, das alles wehte lautlos
wie ein eiliger stummer Film vorüber.
»Was würdest du sagen, wenn ich einen
solchen Hintern hätte?« fragte Natascha. Ich drehte mich um. Sie sah nach der
anderen Seite in das Korsettgeschäft. Dort war ein Panzer für eine Walküre über
eine schwarze Probierpuppe gespannt, wie sie Schneiderinnen brauchen. »Du hast
einen herrlichen Hintern«, sagte ich. »Und du brauchst nie ein Korsett, wenn du
auch keine so magere Giraffe bist, wie sie jetzt herumlaufen.«
»Gut. Es hat aufgehört zu regnen. Nur noch
ein paar Tropfen. Laß uns hier weggehen.« Es ist deprimierend, zu sehen, was
ich einmal gewesen bin, dachte ich und streifte die Aquarien mit einem letzten
Blick. »Sieh nur, die Affen!« sagte Natascha und deutete in den Hintergrund des
Ladens. In einem großen Käfig mit einem Baumstamm darin turnten dort zwei
aufgeregte Affen mit langen Schwänzen.
»Das sind echte Emigranten! Im Käfig! So
weit seid ihr noch nicht gekommen.«
»Nein?« sagte ich.
Natascha sah mich an. »Ich weiß ja nichts
von dir«, erwiderte sie. »Ich will auch gar nichts wissen. Ich finde es
langweilig, sich gegenseitig seine Probleme und seine Lebensgeschichte
vorzubeten. Wie bald fängt man da an zu gähnen.« Sie schaute noch einmal auf
das
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