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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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Wann ge­hen Sie hin?«
    »Um sechs, wenn ich hier fer­tig bin. Ha­ben
Sie von Hirsch ge­hört?«
    »Ich war da. Al­les in Ord­nung. Grä­fen­heim
hat das Geld be­reits. Es ihm aus­zu­hän­di­gen war schwie­ri­ger, als es von Hirsch
zu be­kom­men. An­stän­di­ge Men­schen kön­nen manch­mal ei­ne große Pla­ge sein, bei
Gau­nern weiß man im­mer gleich, wor­an man ist.«
    »Kom­men Sie auch zu Bet­ty?«
    »Ich war ge­ra­de da. Vor­her ha­be ich ei­ne
Stun­de mit Grä­fen­heim ge­kämpft. Ich glau­be, er hät­te das Geld an Hirsch
zu­rück­ge­ge­ben, wenn ich ihm nicht ge­droht hät­te, es an ›Kraft durch Freu­de‹ in
Ber­lin zu sen­den. Er woll­te sein ei­ge­nes Geld nicht von ei­nem Lum­pen an­neh­men.
Da­bei hat er kaum et­was zu es­sen. Ge­hen Sie zu Bet­ty. Ich kann nicht noch
ein­mal ge­hen. Sie hat Angst. Au­ßer­dem wür­de sie miß­trau­isch wer­den, wenn ich
zwei­mal käme. Sie be­käme noch mehr Angst. Ge­hen Sie zu ihr und spre­chen Sie
deutsch mit ihr. Wenn man krank ist, braucht man nicht auch noch eng­lisch zu
spre­chen, meint sie.«
    Ich ging hin. Es war warm und grau, und der
Him­mel hat­te die Far­be wei­ßer Asche. Bet­ty lag im Bett in ei­nem chi­ne­si­schen
lachs­ro­ten Man­tel, den der Her­stel­ler in Broo­klyn wahr­schein­lich als Man­da­ri­nen­rock
ge­dacht hat­te.
    »Sie kom­men ge­ra­de recht zu mei­ner
Hen­kers­mahl­zeit«, rief Bet­ty. »Mor­gen geht's auf die Guil­lo­ti­ne.«
    »Aber Bet­ty«, sag­te Grä­fen­heim. »Mor­gen
ma­chen wir ei­ne klei­ne Rou­ti­ne-Un­ter­su­chung. Nur zur Vor­sicht.«
    »Guil­lo­ti­ne ist Guil­lo­ti­ne«, er­wi­der­te
Bet­ty mit falscher, zu lau­ter Fröh­lich­keit. »Ob ei­nem dar­un­ter die Fuß­nä­gel
ab­ge­schnit­ten wer­den oder der Kopf.«
    Ich sah mich um. Es wa­ren un­ge­fähr zehn
Leu­te da. Die meis­ten kann­te ich. Auch Ra­vic war da. Er saß am Fens­ter und
starr­te auf die Stra­ße. Es war sehr heiß im Zim­mer, den­noch wa­ren die Fens­ter
ge­schlos­sen. Bet­ty fürch­te­te, es wür­de noch hei­ßer wer­den, wenn man sie
öff­ne­te. Ein Ven­ti­la­tor summ­te auf ei­nem Ver­ti­ko wie ei­ne mü­de, große Flie­ge.
Die Tür zum Ne­ben­zim­mer war of­fen. Die Kol­ler-Zwil­lin­ge brach­ten Kaf­fee und
Ap­fel­stru­del her­ein, ich er­kann­te sie zu­erst nicht wie­der. Sie wa­ren blond
ge­wor­den. Ihr Ge­zwit­scher flog durch den Raum, als wä­ren sie hel­le Schwal­ben.
Sie wa­ren gut ge­launt, flink wie Wie­sel und tru­gen en­ge, kur­ze Rö­cke und
baum­wol­le­ne, quer­ge­streif­te Swea­ter mit kur­z­en Är­meln.
    »Sehr ap­pe­tit­lich, wie?« frag­te Tan­nen­baum.
    Ich wuß­te nicht gleich, wen er mein­te, den
Ap­fel­stru­del oder die Mäd­chen. Er mein­te die Mäd­chen.
    »Sehr«, sag­te ich. »Ein ver­wir­ren­der
Ge­dan­ke, mit Zwil­lin­gen ein Ver­hält­nis an­zu­fan­gen, be­son­ders wenn sie sich so
glei­chen wie die bei­den hier.«
    »Dop­pel­te Si­cher­heit«, er­wi­der­te Tan­nen­baum
und zer­teil­te ein Stück Stru­del. »Wenn ei­ne stirbt, kann man die an­de­re
hei­ra­ten. Wo fin­det man das sonst?«
    »Ein et­was ma­ka­b­rer Ge­dan­ke.« Ich sah zu
Bet­ty hin­über, aber sie hör­te nichts. Sie hat­te sich von den Kol­ler-Mäd­chen die
Kup­fer­sti­che von Ber­lin brin­gen las­sen, die sonst im Vor­zim­mer hin­gen, und
stell­te sie auf die bei­den Nacht­ti­sche ne­ben ih­rem Bett.
    »Ich dach­te nicht dar­an, daß man die
Zwil­lin­ge nach­ein­an­der hei­ra­ten könn­te«, sag­te ich, »ich dach­te auch nicht
gleich ans Ster­ben.«
    Tan­nen­baum wieg­te die von schwar­zen Haa­ren
um­flat­ter­te Glat­ze, die aus­sah wie die glän­zen­de Rück­sei­te ei­nes Pa­vians.
»Wor­an denkt man sonst? Wenn man je­mand liebt, denkt man doch: Ei­ner von uns
muß vor dem an­de­ren ster­ben, und ei­ner wird al­lein blei­ben. Wenn man das nicht
denkt, liebt man nicht wirk­lich. Es ist die große Urangst, mo­di­fi­ziert, das
ge­be ich zu. Aus der pri­mi­ti­ven Angst, daß man selbst ster­ben muß, wird durch
die Lie­be die Angst um den an­dern. Ei­ne Sub­li­ma­ti­on, die die­se Lie­be zu ei­ner
fast noch grö­ße­ren Tor­tur macht, denn sie liegt bei dem, der üb­rig bleibt.«
    Tan­nen­baum leck­te

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