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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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süß­li­ches
Lä­cheln ab. Wahr­schein­lich glaub­te er, der ge­knif­fe­ne Zwil­ling wür­de
zu­rück­lä­cheln. Statt des­sen lä­chel­ten bei­de zu­rück. Tan­nen­baum stieß einen
dump­fen Fluch aus. Ich ver­ließ ihn und ging wie­der zu Bet­ty hin­über.
    Ich woll­te ge­hen. Ich konn­te sol­che
Si­tua­tio­nen schlecht er­tra­gen, die an­ge­füllt sind mit ei­ner Mi­schung aus
süß­li­cher Sen­ti­men­ta­li­tät und ech­ter, großer Angst. Sie reiz­ten mich zum
Er­bre­chen. Ich haß­te die­se un­aus­rott­ba­re Sehn­sucht, die­ses falsche Heim­weh,
die, selbst wenn sie in Haß und Ab­scheu um­schlu­gen, stets nach ei­ner
Ent­schul­di­gung such­ten, um wie­der auf­zut­au­chen. Zu vie­le Ge­sprä­che hat­te ich
schon an­ge­hört, die da­mit be­gon­nen hat­ten, »daß die Deut­schen nicht al­le so
wä­ren«, ei­ne Phra­se, von der je­der wuß­te, daß sie stimm­te, und die dann
hin­über­lei­te­te zu dem üb­li­chen Ge­wäsch von den schö­nen Zei­ten in Deutsch­land,
be­vor die Na­zis ka­men. Ich ver­stand Bet­ty bis in ihr gu­tes nai­ves Herz, ich
lieb­te sie des­we­gen und konn­te es trotz­dem nicht an­hö­ren. Die schwim­men­den
Au­gen, die Bil­der von Ber­lin und die Spra­che ih­rer Hei­mat, an die sie sich in
ih­rer großen Angst vor mor­gen klam­mer­te, rühr­ten mich zu Trä­nen. Ich glaub­te
selbst den Ge­ruch der Re­si­gna­ti­on zu spü­ren, der ohn­mäch­ti­gen Re­bel­li­on, die
schon weiß, daß sie ohn­mäch­tig ist, be­vor sie sich ent­fal­tet, und die des­halb,
ob­schon ehr­lich ge­meint, den hoh­len Klang blo­ßer Ges­ten be­kommt. Ich glau­be,
das al­les wie­der zu spü­ren, die­se Ge­fan­gen­schaft oh­ne Sta­chel­draht, die­ses
Hau­sen in der to­ten Luft der Er­in­ne­rung, die­sen schat­ten­haf­ten Haß, der ins
Lee­re greift. Ich sah mich um, ich kam mir wie ein De­ser­teur vor, weil ich
ge­hen, weil ich nicht in die­ser At­mo­sphä­re le­ben woll­te, ob­schon ich doch
wuß­te, daß sie auch ge­sät­tigt war mit schwe­rem Leid und mit Ver­lus­ten, die kaum
zu tra­gen wa­ren; Ver­lus­ten an An­ge­hö­ri­gen, die laut­los ver­schwun­den wa­ren;
Ver­lus­ten, die zu groß wa­ren, um frucht­los dar­über zu brü­ten und selbst da­durch
zer­stört zu wer­den. Ich wuß­te plötz­lich, warum ich ge­hen woll­te. Ich woll­te
nicht selbst in die­se ohn­mäch­ti­ge Schat­ten­re­bel­li­on und Re­si­gna­ti­on hin­ein­ge­ra­ten,
denn das ei­ne führ­te zum an­dern. Ich war oh­ne­hin im­mer­fort ge­fähr­lich na­he
dar­an, aber ich woll­te nicht ei­nes Ta­ges nach den Jah­ren des War­tens auf­ste­hen
und fest­stel­len, daß ich vom War­ten und nutz­lo­sen Schat­ten­bo­xen mür­be und
morsch ge­wor­den war, ich woll­te selbst mei­ne Ver­gel­tung und mei­ne Ra­che su­chen,
nicht mit Kla­gen und Pro­tes­ten, son­dern mit mei­nen ei­ge­nen Hän­den, und um das
zu tun, muß­te ich der Kla­ge­mau­er und dem La­men­to an den Was­sern von Ba­by­lon so
fern blei­ben wie mög­lich.
    Ich sah mich um, als hät­te man mich
er­tappt. »Ross«, sag­te Bet­ty. »Wie schön, daß Sie ge­kom­men sind. Es ist
wun­der­bar, daß man so vie­le Freun­de hat.«
    »Sie sind die Mut­ter der Emi­gran­ten, Bet­ty.
Oh­ne Sie wä­ren wir nichts als Treib­gut.«
    »Wie geht es Ih­nen bei dem Bil­der­händ­ler?«
    »Sehr gut, Bet­ty. Ich wer­de an Vries­län­der
bald et­was zu­rück­zah­len kön­nen.«
    Sie hob ih­ren hei­ßen Kopf und blin­zel­te mit
ei­nem Au­ge. »Da­mit las­sen Sie sich nur Zeit. Vries­län­der ist ein sehr rei­cher
Mann. Er braucht das Geld nicht. Sie kön­nen es ihm auch noch zu­rück­zah­len, wenn
al­les vor­bei ist.« Sie lach­te. »Ich bin froh, daß es Ih­nen gut geht, Ross! Es
geht so we­ni­gen von uns gut. Ich darf nicht lan­ge krank blei­ben. Die an­dern
brau­chen mich. Fin­den Sie nicht auch?«
    Ich ging mit Ra­vic hin­aus. An der Tür sah
ich Tan­nen­baum ste­hen. Er blick­te un­schlüs­sig von ei­nem Zwil­ling zum an­dern.
Sei­ne Glat­ze blink­te. Er haß­te mich be­reits wie­der. »Hat­ten Sie Streit mit
ihm?« frag­te Ra­vic.
    »Nur ein fri­vo­les Ge­plän­kel, um mich
ab­zu­len­ken. Ich bin kein Kran­ken­be­su­cher. Es macht mich

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