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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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sich den Streu­zu­cker von
den Fin­gern. »Da man des­we­gen nicht angst­voll al­lein durchs Da­sein wan­dern
kann – denn auch das Al­lein­sein ist ei­ne Tor­tur –, sind Zwil­lin­ge der
ge­schei­tes­te Aus­weg. Be­son­ders, wenn sie so hübsch sind wie die bei­den
Kol­lers.«
    »Wür­den Sie wahl­los ei­ne hei­ra­ten?« frag­te
ich. »Sie kön­nen sie doch nicht un­ter­schei­den. Oder wür­den Sie mit sich selbst
dar­um wür­feln?«
    Er sah mich über sei­nen Knei­fer hin­weg
un­ter bu­schi­gen Au­gen­brau­en an. »Ma­chen Sie sich nur lus­tig über einen
Men­schen, der arm, krank, glatz­köp­fig und jü­disch ist, Sie ari­sches Scheu­sal,
das wie ein wei­ßer Ra­be un­ter Leu­ten sitzt, die ih­re höchs­te Kul­tur schon
er­reicht hat­ten, als Ih­re Vor­fah­ren noch auf den Bäu­men zu bei­den Sei­ten des
Rheins sa­ßen und in ih­re Fel­le schis­sen.«
    »Ein schö­nes Bild«, er­wi­der­te ich. »Blei­ben
wir bei un­se­ren Zwil­lin­gen. Warum sprin­gen Sie nicht über Ih­re
Min­der­wer­tig­keits­kom­ple­xe hin­weg und bla­sen zum An­griff?«
    Tan­nen­baum sah mich ei­ne Wei­le kum­mer­voll
an. »Das sind Mäd­chen für Film­pro­du­zen­ten«, sag­te er dann. »Hol­ly­wood­fut­ter.«
    »Sind Sie nicht Schau­spie­ler?«
    »Ich spie­le Na­zis, klei­ne­re Na­zis. Ich
ha­ben kei­nen Gla­mour.«
    »Mich in­ter­es­siert es, mit Zwil­lin­gen zu
le­ben, und es in­ter­es­siert mich nicht wie Sie, mit Zwil­lin­gen zu ster­ben. Wenn
man mit der einen Krach hät­te, könn­te man zur an­dern ge­hen. Wenn die ei­ne ei­nem
durch­gin­ge, blie­be im­mer noch die an­de­re. Es gibt da si­cher reiz­vol­le
Mög­lich­kei­ten.«
    Tan­nen­baum be­trach­te­te mich an­ge­ekelt.
»Ha­ben Sie das fürch­ter­li­che letz­te Jahr­zehnt durch­ge­macht, um mit sol­chen
Fri­vo­li­tä­ten zu en­den? Wis­sen Sie nicht, daß der größ­te Welt­krieg al­ler Zei­ten
tobt? Ist das al­les, was Sie dar­aus ge­lernt ha­ben?«
    »Tan­nen­baum«, sag­te ich. »Sie wa­ren es, der
an­ge­fan­gen hat, von ap­pe­tit­li­chen Är­schen zu re­den. Nicht ich!«
    »Ich ha­be es im me­ta­phy­si­schen Sin­ne
ge­meint. Tra­gisch, um dem Welt­di­lem­ma zu ent­kom­men. Nicht vul­gär, wie Sie, Sie
spä­te Blü­te am Mis­pel­baum der Ed­da«, mein­te Tan­nen­baum trau­rig.
    Ei­nes der Kol­ler-Mäd­chen kam mit ei­ner
neu­en Plat­te Ap­fel­stru­del zu uns her­über. Tan­nen­baum leb­te auf, starr­te mich
an, als ha­be er ei­ne Er­leuch­tung, deu­te­te auf ein Stück Stru­del, und als der
Zwil­ling es ihm auf den Tel­ler leg­te und so­mit bei­de Hän­de voll hat­te, tatsch­te
er ihm zag­haft auf den run­den Hin­tern. »Aber, Herr Tan­nen­baum«, flüs­ter­te der
Zwil­ling und lach­te. »Aber doch nicht hier!« Er schwän­zel­te da­von.
    »Nun, Sie Me­ta­phy­si­ker«, sag­te ich. »Sie
spä­te Blü­te am tro­ckenen Kak­tus des Tal­muds!«
    »Sie ha­ben mich da­zu ge­bracht«, er­klär­te
Tan­nen­baum ver­wirrt und auf­ge­regt.
    »Na­tür­lich! Im­mer der an­de­re, Sie deut­scher
Nuß­knacker! Nur kei­ne Ver­ant­wor­tung über­neh­men.«
    »Ich mei­ne, das dan­ke ich Ih­nen! Sie hat es
nicht übel ge­nom­men, wie? Glau­ben Sie nicht auch?«
    Tan­nen­baum be­gann zu er­blü­hen. Er reck­te
den Hals und be­kam ei­ne rostro­te Far­be, die an Ei­sen er­in­ner­te, das lan­ge im
Re­gen ge­le­gen hat. »Sie ha­ben einen Feh­ler ge­macht, Herr Tan­nen­baum«, sag­te
ich. »Sie hät­ten auf dem Rock ein klei­nes Krei­de­zei­chen hin­ter­las­sen sol­len,
da­mit Sie wis­sen, wel­cher der Zwil­lin­ge Ih­re vul­gä­re An­nä­he­rung ge­dul­det hat.
Es könn­te näm­lich sein, daß der an­de­re gar kei­nen Sinn da­für hat und Ih­nen,
wenn Sie es wie­der­ho­len, die Plat­te Ap­fel­stru­del ein­schließ­lich des Kaf­fees
über den Schä­del stülpt! Wie Sie se­hen, tra­gen bei­de Zwil­lin­ge im Au­gen­blick
neue Plat­ten mit Ap­fel­stru­del her­ein. Wis­sen Sie, wel­ches Mäd­chen es war? Ich
weiß es nicht mehr.«
    »Ich ... es war ... nein ...«
Tan­nen­baum warf mir einen haß­er­füll­ten Blick zu. Wie ge­blen­det starr­te er auf
die Zwil­lin­ge. Dann rang er sich mit über­mensch­li­cher Kraft ein

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