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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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ge­kom­men ist?«
    »Herr Kahn«, sag­te ich. »Ame­ri­ka war das
Ge­lob­te Land. Wir dach­ten da­mals nicht so weit über Gurs hin­aus. Ich ha­be auch
kei­ne Pa­pie­re mit­ge­bracht.«
    »Das macht nichts. Wir wer­den schon
ir­gend­was be­schaf­fen. Die Haupt­sa­che ist, daß Ihr Auf­ent­halt ver­län­gert wird.
Sa­gen wir um ei­ni­ge Wo­chen. Oder Mo­na­te. Da­zu brau­chen wir einen An­walt, weil
die Zeit so knapp ist. Wir ken­nen ge­nü­gend Emi­gran­ten, die An­wäl­te wa­ren. Bet­ty
wird das be­sor­gen. Aber was wir brau­chen, ist ein ame­ri­ka­ni­scher An­walt, we­gen
der Zeit. Bet­ty wird auch da Be­scheid wis­sen. Ha­ben Sie Geld?«
    »Für zehn Ta­ge.«
    »Das brau­chen Sie selbst. Wir müs­sen
auf­brin­gen, was der An­walt for­dert. Es wird nicht sehr viel sein.«
    Kahn lä­chel­te. »Vor­läu­fig hal­ten die
Emi­gran­ten noch zu­sam­men. Elend ist ein bes­se­rer Kitt als Glück.«
    Ich sah Kahn an. Sein blei­ches,
aus­ge­mer­gel­tes Ge­sicht wirk­te son­der­bar ver­schat­tet.
    »Sie ha­ben mir et­was vor­aus«, sag­te ich.
»Daß Sie ein Ju­de sind. Nach dem jäm­mer­li­chen Pro­gramm die­ser Leu­te drü­ben
ge­hö­ren Sie nicht zu ih­nen. Ich kann mich die­ser Eh­re nicht rüh­men. Ich ge­hö­re
zu ih­nen.«
    Kahn wand­te sich mir zu. »Mein Volk?«
frag­te er iro­nisch. »Sind Sie des­sen si­cher?« – »Sie nicht?«
    Kahn be­trach­te­te mich schwei­gend. Mir wur­de
un­be­hag­lich. »Ich re­de Un­sinn«, er­klär­te ich schließ­lich, um et­was zu sa­gen.
»Das ei­ne hat mit dem an­de­ren nichts zu tun, glau­be ich.«
    Kahn be­trach­te­te mich im­mer noch. »Mein
Volk ...« sag­te er dann und brach ab. »Auch ich fan­ge an, Un­sinn zu re­den.
Kom­men Sie! Ma­chen wir et­was Un­jü­di­sches und trin­ken wir zu­sam­men ei­ne Fla­sche
Schnaps.«
    ***
    Ich woll­te nicht
trin­ken, aber ich konn­te auch nicht ab­sa­gen. Kahn wirk­te völ­lig ge­sam­melt und
ru­hig, doch eben­so ru­hig hat­te in Pa­ris Jo­sef Bär ge­wirkt, als ich zu mü­de war,
um mit ihm die Nacht durch zu trin­ken, und mor­gens hat­te ich ihn er­hängt in
sei­nem arm­se­li­gen Ho­tel­zim­mer ge­fun­den. Men­schen oh­ne Wur­zeln wa­ren sehr la­bil,
und Zu­fäl­le spiel­ten bei ih­nen ei­ne große Rol­le. Hät­te Ste­fan Zweig am Abend,
als er und sei­ne Frau sich in Bra­si­li­en das Le­ben nah­men, mit je­mand spre­chen
oder we­nigs­tens te­le­fo­nie­ren kön­nen, es wä­re viel­leicht nicht ge­sche­hen. So saß
er in der Frem­de un­ter Frem­den und hat­te au­ßer­dem noch den Feh­ler be­gan­gen,
sei­ne Er­in­ne­run­gen zu schrei­ben, an­statt sie zu mei­den wie die Pest. Sie hat­ten
ihn über­wäl­tigt. Des­halb scheu­te auch ich vor ih­nen zu­rück, so­lan­ge ich nichts
tun konn­te. Ich wuß­te, daß ich et­was tun muß­te und woll­te, und das lag wie ein
schwe­rer Stein in mir – aber da­zu muß­te der Krieg vor­bei sein, und ich
muß­te nach Eu­ro­pa zu­rück­fah­ren.
    Ich kam in das Ho­tel, das mir trost­lo­ser
er­schi­en als frü­her. Ich setz­te mich in die alt­mo­di­sche Hal­le, um auf Me­li­kow
zu war­ten. Ich be­merk­te nie­mand, bis ich glaub­te, je­mand schluch­zen zu hö­ren.
In ei­ner Ecke, ne­ben ei­nem Stän­der mit Blatt­pflan­zen, saß ei­ne Frau. Im
un­si­che­ren Licht er­kann­te ich nach ei­ner Wei­le Na­ta­scha Pe­trow­na.
    Sie war­te­te wahr­schein­lich auch auf
Me­li­kow. Das Wei­nen zerr­te an mei­nen Ner­ven. Ich war vom Al­ko­hol et­was be­nom­men
und war­te­te noch ei­ne klei­ne Wei­le, dann ging ich zu ihr hin­über.
    »Kann ich et­was für Sie tun?« frag­te ich.
    Sie ant­wor­te­te nicht. »Ist et­was pas­siert?«
frag­te ich.
    Sie schüt­tel­te den Kopf. »Warum soll et­was
pas­siert sein?«
    »Weil Sie wei­nen.«
    »Muß des­halb et­was pas­siert sein?«
    Ich starr­te sie an. »Aber Sie müs­sen doch
einen Grund ha­ben, wenn Sie wei­nen?«
    »So?« frag­te sie plötz­lich feind­lich.
    Ich wä­re gern weg­ge­gan­gen, aber mein Kopf
war nicht klar.
    »Ge­wöhn­lich hat man doch einen Grund«,
sag­te ich schließ­lich.
    »So? Kann man nicht oh­ne Grund wei­nen? Muß
al­les im­mer einen Grund ha­ben?«
    Ich hät­te mich nicht ge­wun­dert, wenn sie
er­klärt

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