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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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kein Ju­de?«
    »Nein«, sag­te ich er­staunt. »Warum?«
    »Für Deut­sche, die nach Ame­ri­ka wol­len,
aber kei­ne Ju­den sind, ar­bei­te ich nicht.«
    »Und warum nicht?«
    »Das brau­che ich Ih­nen si­cher nicht zu
er­klä­ren, Mis­ter.«
    »Si­cher nicht. Aber um mir das mit­zu­tei­len,
hät­te ich nicht ei­ne Stun­de lang war­ten müs­sen.«
    »Frau Stein hat mir nicht ge­schrie­ben, daß
Sie kein Ju­de sind.«
    »Die deut­schen Ju­den schei­nen to­le­ran­ter zu
sein als die ame­ri­ka­ni­schen«, sag­te ich bis­sig. »Um Ih­re Fra­ge zu­rück­zu­ge­ben:
Sind Sie Ju­de?«
    »Ich bin Ame­ri­ka­ner«, ant­wor­te­te der An­walt
lau­ter als vor­her und so­fort mit hö­he­rer Stim­me. »Und ich set­ze mich nicht für
Na­zis ein.«
    Ich lach­te. »Für Sie ist je­der Deut­sche ein
Na­zi?«
    Die Stim­me wur­de wie­der lau­ter und hö­her.
»Zu­min­dest steckt ein Stück Na­zi in je­dem Deut­schen.«
    Ich lach­te wie­der. »Und ein Mör­der in je­dem
Ju­den.«
    »Was?«
    Die Stim­me war mit ei­nem Ruck ins Fal­sett
hin­auf­ge­glit­ten. Ich deu­te­te auf das Schild, das eben­so wie im Vor­zim­mer auch
im Bü­ro hing, hier je­doch in Gold: Think! »Oder in je­dem Rad­fah­rer«, sag­te ich.
»Das ist näm­lich ein Witz von 1919: Als be­haup­tet wur­de, die Ju­den sei­en am
Krie­ge schuld ge­we­sen, ant­wor­te­te man da­mals: Und die Rad­fah­rer. Wur­de man
ge­fragt: Warum die Rad­fah­rer? so ant­wor­te­te man: Warum die Ju­den? Aber das war
1919. Da­mals konn­te man in Deutsch­land noch den­ken, wenn auch un­ter
Schwie­rig­kei­ten.«
    Ich er­war­te­te, daß der An­walt mich
hin­aus­wer­fen lie­ße. Statt des­sen er­schi­en plötz­lich ein brei­tes La­chen auf
sei­nem Ge­sicht und mach­te es noch brei­ter.
    »Nicht schlecht«, sag­te er mit tiefe­rer
Stim­me. »Den kann­te ich noch nicht.«
    »Er ist ver­al­tet«, er­wi­der­te ich. »Heu­te
schießt man, statt Wit­ze zu ma­chen.«
    Der An­walt wur­de wie­der ernst. »Wir ha­ben
ei­ne fa­ta­le Schwä­che für Wit­ze«, sag­te er. »Trotz­dem blei­be ich bei dem, was
ich be­haup­tet ha­be.«
    »Und ich blei­be beim Ge­gen­teil.«
    »Kön­nen Sie das auch be­wei­sen?«
    »Bes­ser als Sie. Die Ju­den ha­ben
Deutsch­land ver­las­sen, weil sie muß­ten: Sie wä­ren sonst ver­folgt wor­den. Das
be­weist aber noch nicht, daß sie her­aus­ge­gan­gen wä­ren, wenn man sie nicht
ver­folgt hät­te. Die Nicht-Ju­den aber, die Deutsch­land ver­las­sen ha­ben, ha­ben es
ge­tan, weil sie das Re­gime haß­ten.«
    »Die Spio­ne und Spit­zel aus­ge­nom­men«, sag­te
der An­walt tro­cken.
    »Spio­ne und Spit­zel ha­ben im­mer
erst­klas­si­ge Aus­wei­se.«
    Der An­walt wisch­te das un­ter den Tisch.
»Be­weist nicht be­reits die Tat­sa­che, daß Sie glau­ben, nicht al­le Ju­den wä­ren
ge­gen das Na­zi­re­gime, ei­ne an­ti­se­mi­ti­sche Ge­sin­nung?« frag­te er.
    »Viel­leicht. Aber un­ter Ju­den. Die An­sicht
ist näm­lich nicht von mir. Sie stammt von mei­nen jü­di­schen Freun­den.«
    Ich stand auf. Ich hat­te von der al­ber­nen
Wort­spie­le­rei ge­nug. Nichts er­mü­det mehr, als wenn ei­nem je­mand zei­gen will,
was für ein klu­ges Köpf­chen er ist, be­son­ders wenn er keins ist.
    »Ha­ben Sie tau­send Dol­lar?« frag­te das
brei­te Ge­sicht.
    »Nein«, ent­geg­ne­te ich schroff. »Ich ha­be
kei­ne hun­dert.«
    Er ließ mich fast bis zur Tür ge­hen. »Wie
dach­ten Sie denn zu zah­len?« frag­te er dann.
    »Mei­ne Be­kann­ten wol­len mir hel­fen. Aber
ich will lie­ber wie­der in ein In­ter­nie­rungs­la­ger ge­hen, als ih­nen sol­che Sum­men
zu­zu­mu­ten.«
    »Wa­ren Sie schon ein­mal in ei­nem?«
    »Ja«, er­wi­der­te ich är­ger­lich. »So­gar in
Deutsch­land. Und da hei­ßen sie an­ders.«
    Ich er­war­te­te jetzt, daß die­ser
Klug­schei­ßer mir er­klä­ren wür­de, in den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern sä­ßen auch
Kri­mi­nel­le und Ver­bre­cher – was ja stimm­te. Dann hät­te ich mich nicht
be­herr­schen kön­nen. Aber ich be­kam kei­ne Ge­le­gen­heit da­zu. Hin­ter ihm schnarr­te
et­was, und ei­ne me­lan­cho­li­sche Stim­me rief: Kuckuck – Kuckuck –
zwölf­mal. Es war ei­ne Schwarz­wäl­der Kuckucks­uhr; ei­ne

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