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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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hät­te, daß nur für stu­pi­de Deut­sche im­mer al­les einen Grund ha­ben
müs­se. Ich er­war­te­te es so­gar.
    »Ken­nen Sie das nicht?« frag­te sie statt
des­sen.
    »Ich kann es mir vor­stel­len.«
    »Sie ken­nen es nicht?«
    Ich hät­te ihr er­klä­ren kön­nen, daß ich
lei­der im­mer zu­viel Grund ge­habt hät­te. Die Vor­stel­lung, oh­ne Grund, nur aus
Welt­schmerz oder Le­bens­schwer­mut zu wei­nen, stamm­te aus ei­nem zar­te­ren
Jahr­hun­dert. »Ich hat­te nie Ge­le­gen­heit da­zu«, sag­te ich.
    »Na­tür­lich nicht. Warum soll­ten Sie auch.«
    Da sind wir, dach­te ich. Weiß­ruß­land greift
an. »Ent­schul­di­gen Sie«, mur­mel­te ich und woll­te ver­schwin­den. Die At­ta­cke
ei­ner wei­nen­den Frau war al­les, was mir noch fehl­te.
    »Ich weiß«, sag­te sie er­bit­tert. »Es ist
Krieg, und es ist lä­cher­lich, we­gen nichts zu wei­nen. Aber ich wei­ne nun mal.
Ich wei­ne, und wenn hun­dert Schlach­ten ge­schla­gen wer­den.«
    Ich blieb ste­hen. »Das ver­ste­he ich. Was
hat der Krieg schon da­mit zu tun? Wenn auch an­ders­wo hun­dert­tau­send Men­schen
ge­tö­tet wer­den – wenn man sich in den Fin­ger schnei­det, tut es des­we­gen
nicht we­ni­ger weh.«
    Wo­zu re­de ich solch tö­rich­tes Zeug, dach­te
ich. Warum las­se ich die­se Hys­te­ri­ke­rin nicht wei­nen, so­lan­ge sie Lust hat?
Warum ge­he ich nicht? Aber ich blieb ste­hen, als wä­re sie der letz­te Mensch,
und dann wuß­te ich, warum: Ich woll­te nicht al­lein sein.
    »Al­les ist ver­ge­bens«, sag­te sie. »Al­les,
al­les, was wir auch tun! Wir müs­sen ster­ben, und kei­ner ent­kommt.«
    Du lie­ber Gott! Auch das noch! »Es gibt da
Un­ter­schie­de«, sag­te ich. »Ei­ner da­von ist, wie lan­ge man ent­kommt.«
    Sie ant­wor­te­te nicht. »Wol­len Sie et­was
trin­ken?« frag­te ich.
    »Ich kann die­se Co­ca-Co­las nicht
aus­ste­hen«, er­wi­der­te sie. »Was sind das für Ge­trän­ke!«
    »Wie wä­re es mit Wod­ka?«
    Sie blick­te auf. »Wod­ka? Wo gibt es hier
Wod­ka, wenn Me­li­kow nicht da ist? Wo ist er über­haupt? Warum ist er nicht da?«
    »Das weiß ich nicht. Aber Wod­ka ha­be ich
auf mei­nem Zim­mer. Ich kann ihn ho­len.«
    »Das ist ein ver­nünf­ti­ger Ge­dan­ke«, sag­te
Na­ta­scha Pe­trow­na. Dann füg­te sie hin­zu, und es er­in­ner­te mich an al­le Rus­sen,
die ich in mei­nem Le­ben ge­kannt hat­te: »Warum ha­ben Sie die­sen Ge­dan­ken nicht
schon lan­ge ge­habt?«
    Ich hol­te den Rest Wod­ka, den ich noch
hat­te, und ging wi­der­stre­bend zu­rück. Viel­leicht kommt Me­li­kow bald, und ich
kann ver­su­chen, mit ihm so lan­ge Schach zu spie­len, bis ich ru­hi­ger wür­de. Ich
er­war­te­te nicht viel von Na­ta­scha Pe­trow­na.
    Sie schi­en ei­ne an­de­re Per­son zu sein, als
ich an ih­rem Tisch stand. Die Trä­nen wa­ren ver­schwun­den, ihr Ge­sicht war
ge­pu­dert, und sie lä­chel­te so­gar. »Wie­so mö­gen Sie Wod­ka?« frag­te sie. »In
Ih­rem Va­ter­land trinkt man ihn doch nicht?«
    »Ich weiß«, er­wi­der­te ich. »In Deutsch­land
trinkt man Bier und Schnaps. Aber ich ha­be mein Va­ter­land ver­ges­sen und trin­ke
we­der Bier noch Schnaps. Ich bin aber auch kein großer Wod­ka­trin­ker.«
    »Was trin­ken Sie dann?«
    Was für ei­ne idio­ti­sche Un­ter­hal­tung,
dach­te ich und sag­te: »Was es ge­ra­de gibt. In Frank­reich ha­be ich Wein
ge­trun­ken, wenn ich ihn be­kam.«
    »Frank­reich«, sag­te Na­ta­scha Pe­trow­na. »Was
ha­ben die Deut­schen dar­aus ge­macht!«
    »Ich war nicht da­bei. Ich saß um die Zeit in
ei­nem fran­zö­si­schen In­ter­nie­rungs­la­ger.«
    »Na­tür­lich! Als Feind.«
    »Vor­her war ich in ei­nem deut­schen
Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger. Auch als Feind.«
    »Das ver­ste­he ich nicht.«
    »Ich auch nicht«, ant­wor­te­te ich är­ger­lich.
Es war ein ver­hex­ter Tag, dach­te ich. Im­mer wie­der dreh­te ich mich im Krei­se.
Da­bei woll­te ich nur her­aus.
    »Möch­ten Sie noch et­was Wod­ka?« frag­te ich.
Wir hat­ten uns wirk­lich nichts zu sa­gen.
    »Dan­ke. Lie­ber nicht. Ich ha­be schon vor­her
ziem­lich viel ge­trun­ken.«
    Ich schwieg. Ich fühl­te mich hun­de­elend. So
zwi­schen al­lem und nir­gend­wo hin­ge­hö­rig.
    »Woh­nen Sie hier?«

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