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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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frag­te Na­ta­scha
Pe­trow­na.
    »Ja. Vor­läu­fig.«
    »Je­der wohnt vor­läu­fig hier. Aber man­che
blei­ben dann für im­mer.«
    »Das kann sein. Ha­ben Sie auch hier
ge­wohnt?«
    »Ja. Jetzt nicht mehr. Ich woll­te, ich wä­re
nie weg­ge­gan­gen. Und ich woll­te, ich wä­re nie hier­her ge­kom­men, nach New York.«
    Ich war zu mü­de, um wei­ter­zu­fra­gen. Und ich
hat­te schon zu vie­le Schick­sa­le ge­hört, große und klei­ne, um neu­gie­rig zu sein.
Je­mand, der dar­über jam­mer­te, daß er nach New York ge­kom­men war, in­ter­es­sier­te
mich nicht. Er ge­hör­te zu ei­ner an­de­ren, schat­ten­haf­ten Welt.
    Na­ta­scha Pe­trow­na stand auf. »Ich muß
ge­hen.«
    Es war ein Au­gen­blick leich­ter Pa­nik für
mich. »Wol­len Sie nicht auf Me­li­kow war­ten? Er wird sehr bald kom­men.«
    »Das glau­be ich nicht. Fe­lix ist
an­ge­kom­men, der ihn ver­tritt.«
    Auch ich sah jetzt den klei­nen Kahl­kopf. Er
stand vor der Tür und rauch­te. »Dan­ke für den Wod­ka«, sag­te Na­ta­scha. Sie sah
mich mit ih­ren grau­en, wie durch­sich­ti­gen Au­gen an. »Son­der­bar, wie we­nig ei­nem
manch­mal schon ei­ne Hil­fe sein kann«, sag­te sie. »Schon ein Mensch, den man gar
nicht kennt, ist ge­nug.«
    Sie nick­te mir zu und ging. Sie war noch
grö­ßer, als ich ge­glaubt hat­te. Ih­re Schrit­te hall­ten auf dem Holz­bo­den laut
und ener­gisch, als wol­le sie un­ter ih­ren Fü­ßen et­was zer­tre­ten. Sie schie­nen
gar nicht zu der bieg­sa­men, schma­len Ge­stalt zu pas­sen, die et­was schwank­te.
    Ich kork­te die Fla­sche zu und trat un­ter
die Tür zu Fe­lix, Me­li­kows Stell­ver­tre­ter. »Wie geht es, Fe­lix?« frag­te ich.
    »Wie es so geht«, er­wi­der­te er und blick­te
ab­wei­send auf die Stra­ße hin­aus. »Wie soll es sonst ge­hen?«
    Ich spür­te, als er da so fried­lich vor sich
hin­rauch­te, ei­ne wil­de Wel­le von Neid auf ihn. Die bren­nen­de Zi­ga­ret­te war
plötz­lich das Sym­bol al­les Frie­dens der Welt. »Gu­te Nacht, Fe­lix«, sag­te ich.
    »Gu­te Nacht. Wol­len Sie noch was? Was­ser,
Zi­ga­ret­ten?«
    »Nein, dan­ke, Fe­lix.«
    Ich öff­ne­te die Tür zu mei­nem Zim­mer. Mit
ei­nem Schwall kam mir die Ver­gan­gen­heit ent­ge­gen, als ha­be sie auf mich
ge­war­tet. Ich warf mich auf mein Bett und starr­te in das graue Recht­eck des
Fens­ters. Ich war hilf­los, ich sah vie­le Ge­sich­ter und sah man­che schon nicht
mehr, ich schrie laut­los nach Ra­che und wuß­te doch, daß es ver­geb­lich war, ich
woll­te je­man­den er­wür­gen und wuß­te nicht wen. Ich konn­te nur war­ten, und dann
merk­te ich, daß mei­ne Hän­de naß wur­den, daß ich wein­te.

V.
    D er Rechts­an­walt ließ
mich ei­ne Stun­de war­ten. Ich nahm an, daß es die al­te Tak­tik war, den Kli­en­ten
mür­be zu ma­chen. An mir war nichts mür­be zu ma­chen. Ich ver­trieb mir die Zeit
da­mit, zwei Kun­den im Vor­zim­mer zu be­ob­ach­ten. Ei­ner kau­te Gum­mi, der an­de­re
ver­such­te, sich mit der Se­kre­tä­rin für einen Mit­tags­kaf­fee zu ver­ab­re­den. Die
Se­kre­tä­rin lach­te nur über ihn. Sie hat­te recht. Der Mann hat­te falsche Zäh­ne
und trug einen klei­nen Bril­lant­ring an ei­nem kur­z­en, di­cken, klei­nen Fin­ger,
des­sen Na­gel her­un­ter­ge­kaut war. Ge­gen­über der Se­kre­tä­rin hing, zwi­schen zwei
bun­ten Dru­cken von New Yor­ker Stra­ßens­ze­nen, ein ge­rahm­tes Schild mit dem
ein­zi­gen Wort: Think! Ich hat­te die­se la­pi­da­re Auf­for­de­rung zu den­ken schon
öf­ters be­merkt, im Kor­ri­dor des Ho­tels Reu­ben so­gar an ei­ner un­er­war­te­ten
Stel­le: vor der Toi­let­te. Es war das Preu­ßischs­te, was ich bis­her in Ame­ri­ka
ge­se­hen hat­te.
    Der An­walt hat­te brei­te Schul­tern, ein
brei­tes, flä­chi­ges Ge­sicht und trug ei­ne gol­de­ne Bril­le. Sei­ne Stim­me war
über­ra­schend hoch, und das wuß­te er. So ver­such­te er sie tiefer zu hal­ten, als
sie war, und sprach des­halb sehr lei­se.
    »Sie sind Emi­grant?« flüs­ter­te er und
starr­te auf einen Brief, den Bet­ty an ihn ge­schrie­ben ha­ben muß­te.
    »Ja.«
    »Ju­de, na­tür­lich.«
    Er blick­te auf, als ich schwieg. »Ju­de?«,
wie­der­hol­te er un­ge­dul­dig.
    »Nein.«
    »Was? Sie sind

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