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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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an­ge­brüllt zu wer­den. So wa­ren sie fast
dank­bar, als ich ver­sprach, nichts dar­aus zu ma­chen, und sie lie­ßen mich
er­leich­tert lau­fen. Ich lief sehr weit, bis nach Lissa­bon. Man soll wis­sen,
wann man nichts mehr ris­kie­ren kann. Es gibt da ein Ge­fühl, das der ers­ten
leich­ten At­ta­cke von An­gi­na pec­to­ris ähn­lich ist. Man hat vor­her stär­ke­re
Be­klem­mun­gen ge­habt, aber die­ses Ge­fühl ist an­ders, und man tut sehr gut dar­an,
ihm zu fol­gen. Die nächs­te At­ta­cke kann töd­lich sein.«
    Wir sa­ßen im Dun­keln in sei­nem La­den.
»Ge­hört Ih­nen die­ses Ge­schäft?« frag­te ich.
    »Nein. Ich bin hier an­ge­stellt. Ich bin ein
gu­ter Ver­käu­fer.«
    »Das glau­be ich.«
    Drau­ßen trieb die Groß­stadt­nacht vor­bei,
mit Lich­tern und mit Men­schen. Es war, als schütz­te uns die un­sicht­ba­re Schei­be
vor mehr als nur dem Lärm – wir sa­ßen wie in ei­ner Höh­le.
    »Im Dun­keln schmeckt kei­ne Zi­ga­ret­te«,
sag­te Kahn. »Wä­re es nicht groß­ar­tig, wenn man im Dun­keln auch kei­nen Schmerz
mehr spür­te?«
    »Man spürt mehr, weil man sich mehr
fürch­tet. Vor wem?«
    »Vor sich selbst. Ei­ne Phan­ta­sie. Man soll­te
sich nur vor den an­de­ren fürch­ten.«
    »Auch ei­ne Phan­ta­sie.«
    »Nein«, sag­te Kahn ru­hig. »Das hat man bis
1918 ge­glaubt. Seit 1933 weiß man, daß es nicht so ist. Kul­tur ist ei­ne dün­ne
Schicht, schon der Re­gen kann sie weg­wa­schen. Das hat uns das Volk der Dich­ter
und Den­ker ge­lehrt. Es galt als hoch­zi­vi­li­siert. Es hat At­ti­la und
Dschin­gis-Khan über­trof­fen. Mit ei­ner ein­zi­gen ju­beln­den Kehrt­wen­dung in die
Bar­ba­rei.«
    »Kann ich Licht ma­chen?« frag­te ich.
    »Na­tür­lich.«
    Wir sa­hen uns blin­zelnd an, als das
un­barm­her­zi­ge Licht auf uns her­nie­der­platsch­te.
    »Son­der­bar, wo man über­all so lan­det«,
sag­te Kahn, wäh­rend er einen klei­nen Kamm her­vor­hol­te und sich sei­nen Schei­tel
nach­zog. »Aber die Haupt­sa­che ist, daß man ir­gend­wo lan­det und et­was an­fängt.
Nicht war­tet. Die an­dern ...«, er mach­te ei­ne Be­we­gung ins Wei­te, »sie
war­ten. Wor­auf? Daß die Zeit ih­ret­we­gen zu­rück­ge­dreht wird? Die ar­men Hun­de!
Und was tun Sie? Ha­ben Sie schon so et­was wie einen Be­ruf?«
    »Ich bin Hilfs­sor­tie­rer in ei­nem
An­ti­qui­tä­ten­la­den.«
    »Wo? Zwei­te Ave­nue?«
    »Drit­te.«
    »Das­sel­be. Kei­ne Aus­sicht. Ver­su­chen Sie
et­was Ei­ge­nes an­zu­fan­gen. Selbst wenn Sie Stei­ne ver­kau­fen. Oder Haar­na­deln.
Ich ar­bei­te auch noch ne­ben­bei. Für mich.«
    »Wol­len Sie Ame­ri­ka­ner wer­den?«
    »Ich woll­te Ös­ter­rei­cher wer­den, dann
Tsche­che. Lei­der nah­men die Deut­schen bei­de Län­der. Dann woll­te ich Fran­zo­se
wer­den – der­sel­be Er­folg. Jetzt bin ich neu­gie­rig, ob die Deut­schen auch
Ame­ri­ka ein­neh­men wer­den.«
    »Ich bin neu­gie­rig, an wel­che Gren­ze ich in
zehn Ta­gen ge­stellt wer­de.«
    Kahn schüt­tel­te den Kopf. »Das ist noch
nicht si­cher. Bet­ty wird Ih­nen Emp­feh­lun­gen von drei be­kann­ten Flücht­lin­gen
be­sor­gen. Feucht­wan­ger wür­de Ih­nen auch ei­ne ge­ben, aber sei­ne ist nicht so
viel wert. Er steht zu weit links. Ame­ri­ka ist mit Ruß­land ver­bün­det, aber
nicht ge­nug, um den Kom­mu­nis­mus gut­zu­hei­ßen. Hein­rich und Tho­mas Mann sind
ers­te Klas­se, noch bes­ser aber sind Emp­feh­lun­gen von Ame­ri­ka­nern. Ich ken­ne
einen Ver­le­ger, der mei­ne Er­leb­nis­se als Buch dru­cken möch­te. Ich wer­de sie nie
schrei­ben, aber das kann ich ihm auch noch in zwei Jah­ren sa­gen. Er
in­ter­es­siert sich für Emi­gran­ten. Wit­tert viel­leicht ein Ge­schäft. So was, mit
Idea­lis­mus zu­sam­men, ist ei­ne un­schlag­ba­re Kom­bi­na­ti­on. Ich wer­de ihn mor­gen
an­ru­fen. Wer­de sa­gen, daß Sie ei­ner der Leu­te sind, die ich aus Gurs
her­aus­ge­holt ha­be.«
    »Ich war im La­ger von Gurs«, sag­te ich.
    »Tat­säch­lich? Ge­flo­hen?«
    Ich nick­te. »Ei­ne Wa­che be­sto­chen.«
    Kahn wur­de leb­haft. »Das ist gut! Wir
wer­den ein paar Zeu­gen für Sie fin­den. Bet­ty kennt ei­ne Men­ge Leu­te. Er­in­nern
Sie sich an je­man­den, der nach Ame­ri­ka

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