E.M. Remarque
stehen und mit Angestellten Ärger und Kosten haben,
schläft der Parasit bis neun Uhr, diktiert dann Briefe und wartet wie eine
Spinne auf Käufer.«
»Warten Sie nicht auf Käufer?«
»Nicht so luxuriös wie eine Spinne. Wie ein
Angestellter meiner selbst. Nicht wie ein Pirat!«
»Warum werden Sie nicht auch ein Parasit,
Herr Lowy?«
Er sah mich stirnrunzelnd an.
Ich begriff, daß ich einen Fehler gemacht
hatte. »Aus ethischen Gründen, was?« fragte ich.
»Schlimmer. Aus finanziellen Gründen. Diese
Seeräuberei kann man nur betreiben, wenn man Geld hat. Und gute Ware. Sonst
wird man ein Schlepper. Sehr gute Ware.«
»Verkauft der Pirat billiger? Er hat doch
weniger Unkosten.«
Lowy stieß die Zigarre in einen
Renaissance-Mörser, holte sie aber gleich darauf wieder heraus, glättete sie
und zündete sie neu an. »Teurer!« schrie er. »Das ist ja der Witz! Und die
reichen Dummköpfe lassen sich düpieren und glauben, günstiger zu kaufen. Leute,
die Millionen in harter Arbeit gemacht haben, fallen darauf rein. Wenn man
ihren Snobismus und ihre gesellschaftliche Ehre, nebbich, kitzelt, kriechen sie
wie Fliegen auf den Leim!« Lowys Zigarre sprühte wie ein Feuerwerksrad. »Die
Verpackung!« zeterte er. »Sagen Sie einem neugebackenen Millionär, er solle
einen Renoir kaufen – er lacht Sie aus, weil er glaubt, das sei ein
Fahrrad! Sagen Sie ihm aber, ein Renoir erhöhe seine gesellschaftliche
Bedeutung, dann kauft er gleich ein paar! Verstehen Sie?«
Ich lauschte mit Entzücken. Von Zeit zu
Zeit erhielt ich von Lowy diesen kostenlosen Unterricht über das praktische
Leben, gewöhnlich nachmittags, wenn nicht viel zu tun war, oder abends, bevor
ich im Keller Schluß machte. Heute war es früher Nachmittag.
»Wissen Sie, warum ich Ihnen diesen Kursus
im höheren Bilderhandel gebe?« fragte Lowy senior.
»Um mich auf den Krieg im Geschäftsleben
vorzubereiten. Den andern kenne ich ja schon.«
»Sie kennen etwas vom ersten totalen Krieg
der Welt und glauben, das sei eine Neuigkeit. Im Geschäftsleben gibt es, seit
die Erde sich dreht, nichts anderes als den totalen Krieg. Die Front ist
überall.«
Lowy senior reckte sich. Ȁhnlich wie in
einer Ehe.«
»Sind Sie verheiratet?« fragte ich. Ich
liebte es nicht, den Krieg in irgendwelche albernen Vergleiche gezogen zu
sehen. Dazu war er zu sehr jenseits aller Vergleiche, selbst der nicht
albernen.
»Ich nicht!« erwiderte Lowy senior
plötzlich umdüstert. »Aber mein Bruder trägt sich mit dem Gedanken. Stellen Sie
sich das vor! Eine Tragödie! Eine Schickse will er heiraten! Das wäre unser
Ruin.«
»Eine Schickse?«
»Na ja, so eine Christin mit
Wasserstoffsuperoxyd-Gezottel um die Ohren, mit Augen wie ein Hering und einem
Maul, das vor lauter Gier nach unsern sauer ersparten Notgroschen
achtundvierzig Zähne hat. Nach unseren Dollars, meine ich. Eine künstliche
blonde Hyäne mit zwei krummen rechten Füßen!«
Ich wartete einen Augenblick, um mir dieses
Bild klarzumachen.
»Meine arme Mutter, hätte sie das noch
erlebt«, fuhr Lowy fort, »sie würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie nicht vor
acht Jahren eingeäschert worden wäre.«
Ich kam nicht dazu, über diesen Wirrwarr
nachzudenken. Ein Wort hatte mich getroffen wie eine Signalglocke.
»Eingeäschert?«
»Im Krematorium. Sie war eine fromme Jüdin,
noch in Polen geboren. Hier gestorben. Sie wissen ...«
»Ich weiß«, sagte ich hastig. »Und Ihr
Bruder? Warum soll er nicht heiraten?«
»Aber doch nicht eine Schickse!« empörte
sich Lowy. »Es gibt in New York mehr ordentliche Mädchen als sonst wo. Soll er
da keine finden? Ganze Stadtteile voll gibt es hier! Aber nein, er muß seinen
Kopf durchsetzen. Das ist, als wollte er in Jerusalem ein Mädchen
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