E.M. Remarque
Petrowna beschäftigt war – ich war im Hin- und
Widerstreit meiner Gedanken nicht dazugekommen, einen Entschluß zu fassen. In
der einen Stunde hielt ich Natascha für eine chauvinistische Modeziege, in der
anderen mich für einen ungehobelten Polterer. Jetzt schien Gott eingegriffen zu
haben, und der Geldschein war ein Beweis dafür. Ich kaufte zwei Orchideen und
schickte sie an Nataschas Adresse. Sie kosteten nur fünf Dollar und sahen
teuerer aus, und auch das schien mir irgendwie zu passen.
Bei Browning und King fand ich einen
leichten grauen Anzug, bei dem nur die Hose passend gemacht werden mußte. »Bis
morgen abend«, sagte der Verkäufer.
»Kann ich ihn nicht heute abend haben?«
»Es ist schon zu spät.«
»Ich brauche ihn heute abend«, sagte ich,
»dringend.«
Ich brauchte ihn nicht so dringend, aber
ich wollte ihn plötzlich so rasch wie möglich haben. Es war endlos lange her,
seit ich einen neuen Anzug hatte kaufen können, und es kam mir törichterweise
auf einmal so vor, als wäre das ein Symbol, daß meine lange Zeit als
heimatloser Emigrant vielleicht vorüber wäre, daß ich seßhaft werden könnte, um
ein ruhiges Dasein als Kleinbürger zu beginnen.
»Versuchen Sie es möglich zu machen«, sagte
ich.
»Ich will erst mal in der Werkstatt
nachsehen.«
Ich stand zwischen den langen Reihen der
aufgehängten Anzüge und wartete. Die Reihen schienen von allen Seiten gegen
mich zu marschieren, wie eine Armee von Automaten, bei denen endlich der Gipfel
der Perfektion erreicht war – die völlige Ausschaltung des Menschen. Wie
ein Anachronismus huschte der Verkäufer zappelnd durch die stummen Reihen. »Es
läßt sich machen. Holen Sie den Anzug kurz vor sieben ab.«
»Vielen Dank.«
Ich trat durch einen Streifen von staubigem
Sonnenschein auf die heiße Straße.
***
Ich ging die Dritte
Avenue entlang. Lowy senior stand im Schaufenster und dekorierte. Ich blieb in
der ganzen Pracht meines Tropical draußen stehen. Er machte Augen wie ein Uhu
in der Nacht und winkte mir mit einem Leuchter, hereinzukommen. »Köstlich«,
sagte er. »Ist das bereits die erste Frucht Ihrer Tätigkeit als höherer
Gauner?«
»Es ist die Frucht eines Vorschusses von
dem Mann, bei dem Sie mich empfohlen haben, Herr Lowy.«
Lowy grinste. »Ein ganzer Anzug, Tiens.«
»Und noch was drüber. Silvers hatte mir
Brook's Brothers empfohlen. Ich habe bescheidener gewählt.«
»Sie sehen aus wie ein Hochstapler.«
»Herzlichen Dank. Das bin ich auch.«
»Sie scheinen sich bereits glänzend zu
verstehen«, brummte Lowy und befestigte einen wunderbaren Engel aus dem 18.
Jahrhundert, dessen Bemalung neu war, vor einem Stück Samt aus Genua. »Ein
Wunder, daß Sie sich überhaupt noch hier sehen lassen bei uns kleinen
Pinschern.«
Ich sah ihn sprachlos an. Der kleine Dicke
war eifersüchtig, dabei hatte er mich selbst Silvers empfohlen. »Wäre es Ihnen
lieber, wenn ich Silvers beraubt hätte?« fragte ich.
»Zwischen ihn berauben und ihm den Arsch
küssen ist noch ein Unterschied!« Lowy schob einen französischen Stuhl zurecht,
von dem ein halbes Bein original aus der Zeit war. Ein warmes Gefühl stieg in
mir auf. Es war viel Zeit vergangen, seit ich gespürt hatte, daß mich jemand
gern hatte, ohne etwas von mir zu wollen. Es war eigentlich nicht so lange her,
fand ich, als ich darüber nachdachte. Die Welt war voll von guten Menschen: Das
merkte man erst, wenn es einem sehr schlecht ging, und es war eine gewisse
Aussöhnung dafür, daß es einem schlecht ging. Eine merkwürdige Balance, die
einen in verzweifelten Augenblicken sogar an einen sehr fernen, unpersönlichen
und automatischen Gott mit Schalttafeln glauben ließ. Allerdings nur in diesem
Moment und dann nicht lange.
»Was starren Sie so?« fragte
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