E.M. Remarque
Taxis stand vor der Tür. Der
Portier öffnete einen Schlag.
»Wir brauchen keines«, sagte Natascha
Petrowna. »Ich wohne nicht weit von hier.«
Die Straße wurde dunkler. Wir kamen zu dem
Haus, in dem sie wohnte. Sie räkelte sich wie eine Katze. »Ich liebe solche
nächtliche Gespräche über alles und nichts«, sagte sie. »Natürlich ist alles
das, was ich Ihnen gesagt habe, nicht wahr.«
Das Licht der Straßenlampe fiel voll auf
ihr Gesicht. »Natürlich nicht«, erwiderte ich, immer noch hilflos und zornig
auf mich, weil ich mich bemitleidete. Ich nahm sie und küßte sie und erwartete,
daß sie mich ärgerlich als vulgären Plebejer zurückstoßen würde. Sie tat es
nicht, sie sah mich nur mit einem sonderbaren, stillen Blick an, blieb noch
einen Augenblick stehen und ging dann schweigend ins Haus.
XII.
I ch kam vom Anwalt.
Betty Stein hatte mir hundert Dollar gegeben, damit ich ihm die erste Rate
bezahle. Ich hatte die Kuckucksuhr angesehen und versucht zu handeln, aber der
Anwalt war hart geblieben wie ein Diamant, von keiner Sentimentalität getrübt.
Ich war so weit gegangen, ihm einiges aus den letzten Jahren zu erzählen. Ich
wußte, daß er einen Teil davon bereits gehört hatte, hatte all das ja
gebraucht, um die Verlängerung meiner Aufenthaltsgenehmigung zu erreichen, aber
ich hatte gedacht, ein paar Details würden nicht schaden, um den Mann milder zu
stimmen. Fünfhundert Dollar waren eine sehr große Schuld für mich. Betty Stein
hatte mir dazu geraten. »Flennen Sie ihm richtig was vor«, hatte sie gesagt.
»Vielleicht hilft es. Und außerdem stimmt es ja.« Es hatte nichts genützt. Der
Anwalt erklärte mir, daß er mir bereits ein Geschenk gemacht habe, sein
normales Honorar sei bedeutend höher. Auch der Hinweis auf den mittellosen
Emigranten schlug fehl. Der Anwalt lachte mich aus. »So wie Sie kommen jedes
Jahr über hundertfünfzigtausend Emigranten nach Amerika. Hier sind Sie keine
rührende Ausnahme. Was wollen Sie? Sie sind gesund, stark und jung. So haben
alle unsere Millionäre angefangen. Und wie ich höre, sind Sie über das
Tellerwäscherstadium schon hinaus. Ihre Situation ist nicht schlimm. Wissen
Sie, was schlimm ist? Arm zu sein, alt zu sein, krank zu sein und ein Jude in
Deutschland zu sein! Das ist schlimm! Und nun good bye! Ich habe Wichtigeres zu
tun. Bringen Sie die nächste Rate pünktlich.«
Ich war dankbar gewesen, daß er nicht noch
dafür, daß er mich angehört hatte, ein Extrahonorar verlangte. Langsam
schlenderte ich durch die Stadt, die in heiterem, geschäftigem Morgendunst lag.
Die Sonne schien hinter glänzenden Wolken. Die Autos blitzten frisch geputzt,
und der Central Park war voll von Kindergeschrei. Bei Silvers hatte ich
Photographien von Picassos aus Paris gesehen, die ähnlich gewesen waren. Der
Ärger über den Anwalt verflog, es war auch nur der Ärger über die ziemlich
erbärmliche Rolle gewesen, die ich gespielt hatte. Er hatte mich durchschaut,
und er hatte recht gehabt. Ich konnte nicht einmal auf Betty ärgerlich sein,
die mir dazu geraten hatte. Es war ja meine Sache gewesen, ihrem Rat zu folgen
oder nicht.
Ich ging am Bassin der Seelöwen vorbei,
auch sie glitzerten in der warmen Sonne wie polierte lebendige Bronzen. Die
Tiger, Löwen und Gorillas waren in ihren Außenkäfigen. Sie wanderten ruhelos
auf und ab mit den durchsichtigen beryllfarbenen Augen, die nichts und alles
sahen. Die Gorillas spielten und warfen mit Bananenschalen. Ich enthielt mich
allen sentimentalen Mitleids. Anstatt wie hungrige Beutesucher, die von Mücken
und Krankheiten gequält wurden, sahen die Tiere eher aus wie ruhige, satte
Rentner auf dem Morgenspaziergang. Wenn Angst und Hunger die
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