E.M. Remarque
fertig gemalt wurde?« fragte ich.
»Im Gegenteil, er kann gar nicht üppig
genug sein, weil das Bild nicht fertig ist. Gerade deshalb.«
»Ich verstehe. Er verdeckt.«
»Er erhöht. Er ist so fertig, daß das Bild
auch fertig wirkt. Rahmen sind sehr wichtige Dinge«, dozierte Silvers und
setzte sich zurecht. Ich hatte schon öfter gemerkt, daß er es liebte,
professoral zu werden. »Es gibt Kunsthändler, die an Rahmen sparen; sie
glauben, der Kunde merke es nicht. Rahmen sind teuer, und Schmokusmalokus,
gepreßt und vergoldete Gipsrahmen sehen zwar guten Rahmen auf den ersten Blick
etwas ähnlich, aber nur auf den ersten Blick.«
Ich paßte den ersten Degas vorsichtig in
den Rahmen. Silvers suchte einen zweiten für das andere Bild aus. »Wollen Sie
doch beide zeigen?« fragte ich.
Er lächelte verschmitzt. »Nein. Aber ich
will das zweite Bild in Reserve halten. Man weiß nie, was passiert. Beide
Bilder sind absolute Jungfrauen. Nie gezeigt. Der Kunde, der heute kommt,
wollte erst übermorgen erscheinen. Wir brauchen die Rückseite nicht zu kleben;
wir haben keine Zeit dazu. Biegen Sie nur die Nägel um, damit es fest hält.«
Ich holte den zweiten Rahmen. »Eine
Schönheit, wie?« sagte Silvers. »Louis XV. reich und üppig. Macht das Bild um
fünftausend Dollar wertvoller. Mindestens! Selbst van Gogh wollte, daß seine
Bilder erstklassig gerahmt sein sollten. Degas hat seine allerdings oft mit
weiß angestrichenen Latten gerahmt. Aber vielleicht war er geizig.«
Vielleicht hatte er auch nicht genug Geld,
dachte ich. Van Gogh hatte sicher nicht genug, er hat Zeit seines Lebens kein
Bild verkaufen können und wurde von seinem Bruder dürftig unterstützt.
Die Bilder waren gerahmt. Silvers wies mich
an, das eine in das Nebenkabinett zurückzubringen. »Das andere hängen Sie in
das Schlafzimmer meiner Frau.«
Ich sah ihn erstaunt an. »Sie haben richtig
verstanden«, sagte er. »Ich gehe mit, kommen Sie.« Frau Silvers hatte ein
hübsches, sehr weibliches Schlafzimmer. Ein paar Zeichnungen und Pastelle
hingen zwischen den Möbeln. Silvers betrachtete sie mit Feldherrnblick. »Nehmen
wir die Renoir-Zeichnung drüben einmal herunter und hängen wir den Degas hin.
Den Renoir dafür nach drüben über den Toilettentisch, die Berthe-Morisot-Zeichnung
nehmen wir heraus. Den Vorhang rechts ziehen wir halb zu. Etwas mehr ... so,
jetzt ist das Licht gut.«
Er hatte recht. Das Gold des halb
zugezogenen Vorhangs gab dem Bild Süße und Wärme. »Strategie«, sagte Silvers,
»ist der halbe Verkauf. Kommen Sie.«
Er instruierte mich über die Strategie. Ich
sollte die Bilder, die er vorzeigen wollte, in das Zimmer mit den Staffeleien
bringen. Er würde mich beim vierten oder fünften Bild beauftragen, den Degas
aus dem Kabinett zu holen. Ich sollte ihn dann daran erinnern, daß das Bild im
Schlafzimmer von Frau Silvers hänge. »Sprechen Sie so viel Französisch, wie Sie
wollen«, erklärte er. »Wenn ich Sie nach dem Bild frage, antworten Sie
allerdings englisch, damit der Kunde es auch versteht.«
Ich hörte die Hausklingel. »Da ist er«,
sagte Silvers. »Warten Sie hier oben, bis ich Ihnen klingle.«
Ich ging in das Kabinett, in dem die Bilder
Seite an Seite in Holzgestellen standen, und setzte mich auf einen Stuhl.
Silvers ging nach unten, um seinen Gast zu begrüßen. Das Kabinett hatte ein
kleines Fenster mit einer Milchglasscheibe, das stark vergittert war. Ich hatte
das Gefühl, in einer Gefängniszelle zu sitzen, in der zur Abwechslung für
einige hunderttausend Dollar Bilder aufgespeichert waren, was den Charakter der
Zelle veränderte. Das milchige Licht erinnerte mich an eine Zelle, in der ich
einmal in der Schweiz vierzehn Tage gesessen hatte – wegen
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