E.M. Remarque
Haupttriebfedern
der Natur sind – die Tiere hier waren davon frei, allerdings war der Preis
dafür eine gewisse Monotonie. Doch wer wußte, wem das eine oder das andere
lieber war? Die Tiere haben, wie Menschen, ihre Gewohnheiten, an denen sie
festhalten, und von der Gewohnheit ist nur ein Schritt zur Monotonie.
Revolutionen sind überall selten. Ich mußte an Natascha Petrowna denken und an
meine Theorie vom Glück im Winkel. Sie war keine Revolutionärin, und ich
glaubte an das Glück im Winkel nur als Kontrast. Beide gehörten wir aber
nirgendwohin. Wir flatterten und machten manchmal irgendwo halt, um auszuruhen.
Aber taten das nicht alle Tiere ohne viel Aufhebens?
Ich setzte mich auf die Terrasse und
bestellte mir einen Kaffee. Ich hatte fünfhundert Dollar Schulden und vierzig
Dollar Vermögen. Aber ich war frei, gesund und, wie der Anwalt mir erklärt
hatte, auf der ersten Stufe zum Millionär. Ich trank noch einen Kaffee und kam
mir vor wie im Jardin du Luxembourg in Paris an einem Sommervormittag. Damals
hatte ich einen Spaziergänger gemimt, damit die Polizei nicht auf mich
aufmerksam wurde. Heute bat ich einen vorübergehenden Polizisten um Feuer für
meine Zigarette und erhielt es. Der Luxemburg-Garten erinnerte mich an das Lied
vom Graf von Luxemburg im Morocco. Aber als ich es dort gehört hatte, war es
Nacht gewesen, und jetzt war es heller, winddurchwehter Tag. Am Tag ist alles
anders.
***
»Wo bleiben Sie nur? Sie waren
ja endlos lange weg!« sagte Silvers. »Es kann doch keine solche Ewigkeit
dauern, um einen Anwalt zu bezahlen!«
Ich war überrascht. Er war nicht mehr der
gepflegte Weltmann, den ich ihm auch nie ganz geglaubt hatte. Er war heute
gespannt, nervös, ohne es sehr zu zeigen, er schritt rasch und etwas geduckt
durchs Haus. Sogar sein Gesicht hatte sich geändert. Die leicht gepolsterte
Weichheit war verschwunden. Hier war einer, der auf Raub ausging, dachte ich.
Eine Art Salonleopard, der Wild gesichtet hatte. »Es kann schon länger dauern,
wenn man nicht bezahlen kann.«
Silvers wischte das beiseite. »Kommen Sie
jetzt, wir haben wenig Zeit. Wir müssen Bilder umhängen.«
Wir gingen in den Raum mit den Staffeleien.
Silvers holte aus dem Nebenraum zwei Bilder hervor und stellte sie auf. »Sagen
Sie mir, ohne nachzudenken, welches Sie kaufen würden.«
Es waren wieder die zwei Degas, beides
Bilder von Tänzerinnen. Beide ungerahmt. »Los, los!« sagte Silvers.
Ich deutete auf das linke. »Dieses.«
»Warum? Es ist doch weniger ausgeführt.«
Ich zuckte die Achseln. »Es gefällt mir
besser. Gründe kann ich Ihnen auf Anhieb nicht sagen. Das wissen Sie doch
selbst viel besser als ich.«
»Natürlich weiß ich es besser«, versetzte
Silvers ungeduldig.
»Kommen Sie, wir müssen beide rahmen, bevor
der Kunde erscheint.«
Er zeigte mir eine Anzahl leerer Rahmen im
Nebenraum. Ich brachte sie heraus. »Es sind Normalgrößen«, murmelte er. »Diese
hier werden passen. Wir haben keine Zeit mehr, Rahmen zurechtzuschneiden.«
Es war überraschend, wie die Bilder sich
veränderten, wenn die Rahmen darübergelegt wurden. Das eine, das etwas
zerflattert im Raume zu hängen schien, war plötzlich gesammelt. Die Bilder
wirkten fertiger.
»Man soll Bilder nur im Rahmen zeigen«,
erklärte Silvers. »Nur Kunsthändler können sie ohne Rahmen beurteilen. Nicht
einmal Museumsdirektoren verstehen das immer. Welchen Rahmen würden Sie
nehmen?«
»Diesen da.«
Silvers sah mich anerkennend an. »Sie haben
keinen schlechten Geschmack. Aber wir werden einen anderen nehmen. Diesen
hier.«
Er schob die Tänzerinnen in einen breiten
und reichverzierten Rahmen. »Ist der nicht ein wenig zu üppig für ein Bild, das
nicht ganz
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