E.M. Remarque
illegalen
Aufenthalts ohne Papiere, das übliche Vergehen der Emigranten. Die Zelle war
genau so sauber und ordentlich gewesen, und ich hätte gern länger als vierzehn
Tage darin gesessen, das Essen war gut und die Zelle geheizt. Aber nach zwei
Wochen wurde ich in einer stürmischen Nacht nach Annemasse an die französische
Grenze gebracht, erhielt eine Zigarette und einen Knuff in den Rücken: »Marsch
nach Frankreich. Und laß dich nie wieder in der Schweiz sehen!«
Ich mußte eingenickt sein. Plötzlich
läutete die Klingel. Nebenan hörte ich Silvers sprechen. Ich ging hinein. Ein
schwerer Mann mit großen roten Ohren und kleinen Schweinsaugen saß da.
»Monsieur Ross«, flötete Silvers, »bitte bringen Sie einmal die helle
Sisley-Landschaft.«
Ich brachte die Landschaft und stellte sie
auf. Silvers sagte lange Zeit nichts, sondern beobachtete durch das Fenster die
Wolken. »Gefällt sie Ihnen?« fragte er dann gelangweilt. »Ein Sisley aus der
besten Zeit. Eine Überschwemmung – das, was jeder haben will.«
»Mist«, sagte der Kunde noch gelangweilter
als Silvers.
Der Händler lächelte. »Auch eine Kritik«,
erwiderte er ziemlich sarkastisch. »Monsieur Ross«, wandte er sich an mich in
Französisch, »nehmen Sie diesen herrlichen Sisley fort.«
Ich wartete einen Augenblick darauf, daß
Silvers mir sagen würde, was er jetzt hereingebracht haben wolle. Da er es
nicht tat, ging ich mit dem Sisley hinaus, hörte aber Silvers noch sagen: »Sie
sind heute nicht in Stimmung, Herr Cooper. Verschieben wir es auf ein anderes
Mal.«
Ziemlich schlau, dachte ich in dem
milchigen Licht meiner Kammer, jetzt mußte Cooper anfangen. Als ich wieder
gerufen wurde, nach einiger Zeit, und die anderen Bilder nach und nach
hereinbrachte, rauchten beide zwei von Silvers' Kundenzigarren Partagas. Dann
fiel mein Stichwort. »Dieser Degas ist nicht hier, Herr Silvers«, sagte ich.
»Aber natürlich ist er hier. Er muß da
sein.«
Ich kam heran, beugte mich halb zu ihm
herunter und flüsterte vernehmlich: »Das Bild ist oben, bei Frau
Silvers ...«
»Wo?«
Ich wiederholte auf französisch, daß das
Bild bei Frau Silvers im Schlafzimmer hänge.
Silvers schlug sich vor die Stirn. »Ach
richtig, daran habe ich ja gar nicht gedacht. Nun, dann geht es eben
nicht ...«
Ich bewunderte ihn grenzenlos. Er schob die
Initiative wieder Cooper zu. Er sagte mir nicht, daß ich das Bild holen solle,
er behauptete auch nicht, daß das Bild seiner Frau zugedacht sei oder gar ihr
gehöre. Er ließ das Thema ganz einfach fallen und wartete.
Ich wanderte zurück in meine Kemenate und
wartete ebenfalls. Mir schien, daß Silvers einen Hai an der Angel habe und ich
nicht sagen könne, ob der Hai nicht Silvers verschlucken würde. Allerdings war
Silvers' Position günstiger. Der Hai konnte eigentlich nur die Angel
durchbeißen und wegschwimmen. Es war ausgeschlossen, daß Silvers zu billig
verkaufte. Der Hai machte immerhin interessante Versuche. Da die Tür einen
Spalt offen stand, hörte ich, daß das Gespräch sich wirtschaftlichen
Verhältnissen und dem Krieg zuwandte. Der Hai prophezeite das Schlimmste:
Börsenpleite, Schulden, neue Ausgaben, neue Schlachten, Krisen, sogar drohenden
Kommunismus. Alles würde fallen. Bares Geld würde das einzige sein, das Wert
behielte. Er erinnerte nachdrücklich an die schwere Krise Anfang der dreißiger
Jahre, wer da bares Geld hatte, war ein König und konnte alles für den halben
Preis kaufen, für ein Drittel, ein Viertel. Nachdenklich fügte der Hai hinzu:
»Luxussachen wie Möbel, Teppiche und Bilder sogar für ein Zehntel.«
Silvers bot ungerührt Kognak an. »Später
sind die Sachen dann wieder gestiegen«, sagte er. »Und das Geld ist gefallen.
Sie wissen ja
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