E.M. Remarque
großen mit der Sternendecke und den Zebrasofas. Im kleinen spielte
Karl Inwald Wiener Lieder.
»Was möchten Sie haben?« fragte ich.
»Einen Moscow Mule.«
»Was ist denn das?«
»Ein Moskauer Maulesel. Wodka, Ingwer-Bier
und Lime-Saft. Sehr erfrischend.«
»Das werde ich auch versuchen.«
Natascha zog ihre Füße auf das Sofa. Sie
ließ ihre Schuhe auf dem Boden stehen. »Ich bin nicht sehr für Sport«, sagte
sie. »Nicht wie die Amerikaner. Ich kann weder reiten noch schwimmen noch
Tennis spielen. Ich bin eine Sofahockerin und eine Schwätzerin.«
»Was sind Sie noch?«
»Sentimental und romantisch und
unausstehlich. Billige Romantik finde ich unwiderstehlich. Je billiger, um so
besser. Wie schmeckt der Moscow Mule?«
»Wunderbar.«
»Und die Wiener Lieder?«
»Auch wunderbar.«
»Gut.« Sie lehnte sich zufrieden in ihre
Sofaecke zurück. »Manchmal ist es absolut nötig, sich von einer Riesenwoge
Sentimentalität überfluten zu lassen, in der alle Vorsicht und aller guter
Geschmack glorios untergehen. Später kann man sich dann trocken schütteln und
sich auslachen. Wollen wir?«
»Ich bin schon dabei.«
Sie hatte etwas von einer verspielten und
doch traurigen Katze.
Sie sah auch so aus mit dem kleinen
Gesicht, dem vielen Haar und den grauen Augen. »Fangen wir gleich an«, sagte
sie. »Ich bin unglücklich verliebt, entsetzlich enttäuscht, einsam,
trostbedürftig, will von nichts mehr etwas wissen und weiß wirklich nicht,
warum ich lebe. Ist das genug?« Sie nahm einen großen Schluck und sah mich
erwartungsvoll an.
»Nein«, erwiderte ich. »Das sind unbequeme
Details.«
»Auch daß ich nicht weiß, warum ich lebe?«
»Wer weiß das? Und wenn man es weiß, so
macht es das Leben nur noch mehr zu einer Fleißaufgabe. Wollen Sie das?«
Sie starrte mich an. »Meinen Sie das
ehrlich?«
»Natürlich nicht. Wir reden Unsinn. Wollten
wir das nicht?«
»Nicht ganz. So halb und halb.«
Der Pianist kam an den Tisch und begrüßte
Natascha. »Karl«, sagte Natascha, »bitte spielen Sie doch das Lied aus dem
›Graf von Luxemburg‹.«
»Aber gern.«
Karl begann zu spielen. Er sang sehr gut
und war ein ausgezeichneter Pianist. »Lieber Freund, man greift nicht nach den
Sternen, die für uns in nebelhaften Fernen ...«
Natascha hörte ihm entrückt zu. Es war eine
hübsche Melodie. Tingeltangel, aber der Text war blödsinnig, wie immer.
»Wie finden Sie es?« fragte Natascha.
»Kleinbürgerlich.«
Sie überlegte nur eine Sekunde. »Dann
müßten sie es ja lieben. Wie das Glück im Winkel, das Sie doch so sehr
schätzen.«
Die Kanaille war schnell, dachte ich.
»Müssen Sie denn alles zu Tode kritisieren?« sagte sie plötzlich sanft. »Können
Sie sich nicht loslassen? Haben Sie so viel Angst?«
Auch eine Frage in einem Nachtklub in New
York! Ich ärgerte mich über mich dabei, denn sie hatte recht. Wie ein Götze gab
ich, während ich es doch gleichzeitig verabscheute, typisch deutsche Antworten.
Es hätte nur noch gefehlt, daß ich einen Vortrag über die Vergnügungsstätten
vom grauen Altertum bis in die Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der
Dielen und Nachtklubs seit dem ersten Kriege gehalten hätte. »Das Lied erinnert
mich an eine Zeit lange vor dem Kriege«, sagte ich dann. »Es ist ein sehr altes
Lied, ich glaube, mein Vater kannte es schon. Mir ist, als hätte er es manchmal
gesungen. Er war ein schmaler Mann mit einer Liebe für alte Dinge, alte Gärten.
Ich habe das Lied oft gehört. Es ist ein schmalziges Operettenlied; aber in den
abenddunklen Gärten der Wiener Vorstädte und Dörfer, wo der junge Wein unter
Windlichtern, unter hohen Nußbäumen und Kastanien ausgeschenkt wird, ist es
nicht mehr schmalzig. Es ist wehmütig, mit den Kerzen, der leisen
Schrammelmusik und der weichen Nacht.
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