E.M. Remarque
fragte ich.
Sie schwieg einen Augenblick. »Darling, das
ist doch das Unglück der Großstadt«, murmelte sie dann. »Man ist fast nie
allein.«
»Wie bekommt man dann hier Kinder?«
»Weiß der Himmel!«
Ich klopfte an die Zwischenscheibe. »Würden
Sie bitte drüben halten, wo der kleine Garten ist?« fragte ich den Chauffeur.
Ich reichte ihm einen Fünfdollarschein durch das Fenster. »Gehen Sie dann bitte
irgendwo zum Abendessen. Und holen Sie uns in einer Stunde wieder ab.«
»Sehr wohl, mein Herr.«
»Siehst du!« sagte Natascha.
Wir stiegen aus und sahen den Wagen in der
Dunkelheit verschwinden. Im gleichen Augenblick brach aus dem offenen Fenster
hinter dem Garten der Lärm eines Musikautomaten. Der Garten, der sehr klein
war, lag voll von Coca-Cola-Flaschen, Bierkannen und Eiscremeschachteln.
»Der Friede der Großstadt!« sagte Natascha.
»Und der Chauffeur kommt erst in einer Stunde wieder!«
»Wir könnten Spazierengehen, am Ufer.«
Sie wies auf die Menschenmenge, die nach
Kühlung schnappte. – »Spazieren? In diesen Schuhen?«
Ich machte plötzlich einen langen Schritt
auf die Straße hinaus und winkte wie eine Windmühle. Ich hatte im Straßenlicht
den eckigen Kühler eines Rolls-Royce erkannt. So viele gab es nicht am Hudson;
es mußte der Chauffeur sein, der gewendet hatte.
Er war es. Er war auch kein Störenfried
mehr, er war ein Retter. Nataschas Augen glänzten vor unterdrücktem Gelächter.
»Was jetzt?« sagte sie. »Wo können wir essen?«
»Draußen ist es überall schauderhaft«,
sagte der Chauffeur. »Im Blue Ribbon ist es kühl. Der Sauerbraten ist
erstklassig.«
»Sauerbraten«, sagte ich.
»Sauerbraten!« wiederholte er.
»Erstklassig!«
»Ich will verdammt sein, wenn ich in New
York Sauerbraten oder Sauerkraut esse«, sagte ich zu Natascha. »Es wäre wie
Hitler hochleben zu lassen. Fahren wir zur Dritten Avenue, da gibt es viele
Lokale.«
»Zum King of the Sea, mein Herr?« sagte er.
»Zum King of the
Sea !
Er hat
auch Klimaanlage.«
»Sauerkraut«, erklärte Natascha, »ist, um
es richtig zu stellen in diesem nationalen Wettstreit, ein elsässisches
Gericht!«
»Das Elsaß gehörte längere Zeit zu
Deutschland.«
»Wir kommen von der Politik nicht los.
Fahren Sie zur Dritten Avenue zurück. Der Ozean ist einstweilen noch neutral.«
Ich unterließ es, das zu bestreiten, es
wäre zu einfach gewesen. Ich war schließlich selbst mit gelöschten Lichtern im
Zickzack, um Unterseebooten zu entgehen, herübergekommen. Was war schon
neutral, wenn Gott selbst es nicht mehr war, sondern vor jeder Schlacht von
einem Feldgottesdienst zum andern raste?
Im King of the Sea trafen wir auf Kahn. Er
war der letzte Esser dort und hockte einsam und selbstvergessen vor einer
Schüssel voller riesiger Krabbenbeine. »Der Mann mit den vielen Hobbies«, sagte
ich zu Natascha. »Er hat die Welt zu einer Hobbysammlung gemacht und bringt
sich auf diese Weise durch.«
»Nicht schlecht.«
»Essen Sie nach den Krabben auch Eiscreme?«
fragte ich Kahn.
»Das habe ich einmal versucht. Es ist mir
schlecht bekommen. Man muß die Hobbies auseinander halten.«
»Sehr weise.«
Wir ließen uns nieder, als ob wir eine
große Reise hinter uns hätten. Ich beschloß, Natascha nicht ins El Morocco zu
führen. Ich wollte nicht noch mehr ihrer Freunde kennenlernen.
XVI.
I ch ging mittags zu
Kahn. Er lud mich zum Essen ein. Wir gingen in ein chinesisches Restaurant.
Kahn hatte eine große Vorliebe für chinesisches Essen. Er hatte das von Paris
mitgebracht, aber Paris war dürftig gewesen gegen New York. Chinatown war ein
ganzer Stadtteil von New York.
Wir fuhren mit dem Omnibus bis zur
Mottstraße. Das Restaurant lag in einem Keller, zu dem man ein paar Stufen
hinuntergehen mußte. »Es ist
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