E.M. Remarque
nicht in ein
Internierungslager steckt. Du hast recht, ich bin weder Fisch noch Fleisch,
aber so ging es mir in Europa auch. Dies ist bereits ein Paradies. Ein
Schattenparadies, wenn du willst, abgetrennt von allem, was andern wichtig ist
und mir noch wichtiger. Ein Überwinterungsparadies meinetwegen. Das Paradies
eines unfreiwilligen Zuschauers. Ach Natascha! Reden wir von dem, was für uns
übrig geblieben ist! Von der Nacht, den Sternen, dem Funken Leben, der in uns
noch zittert, und nicht von der Erinnerung. Sieh den Mond an! Die
Passagierschiffe der Luxuslinien sind Truppentransportdampfer geworden. Wir
aber stehen hinter den eisernen Geländern dessen, was man Weltgeschichte nennt,
und müssen hilflos und zwecklos warten und in den Zeitungen die Nachrichten
über Siege und Verluste und zerbombte Länder lesen, und weiter warten und
wieder jeden Morgen aufstehen und Kaffee trinken und warten, bei Silvers und
Mrs. Whympers, während das Blut in der Welt steigt, jeden Tag einen Zentimeter
höher. Ja, du hast recht, es ist eine armselige Schattenparade.«
Wir blickten über die Piers. Sie lagen fast
leer im grünen Licht. Nur ein paar Schiffe waren vertäut, eisengrau, niedrig
und ohne Licht. Wir stiegen wieder ein. »Da fliegen meine albernen und
unzeitgemäßen Träume hin«, sagte Natascha. »Meine Sentimentalität auch. Verzeih
mir.«
»Ich dir verzeihen? Was hast du nur für
seltsame Gedanken! Du solltest mir verzeihen für die Platitüden, die ich
geredet habe. Schon daraus siehst du, was für ein schlechter Journalist ich
war! Wie hell das Wasser ist. Vollmond!«
»Wohin möchten Sie jetzt fahren, Madame?«
fragte der Chauffeur.
»Zur George-Washington-Brücke. Langsam.«
Wir schwiegen ein Zeitlang. Ich machte mir
Vorwürfe wegen meiner idiotischen Schwerfälligkeit. Ich benehme mich wie ein
Mann, den ich in Morocco bittere Tränen über das Schicksal Frankreichs weinen
sah und der es sicher ehrlich meinte. Aber die Etikette der Trauer ist strenger
als die der Freude. Es wirkte lächerlich. Ich grübelte vergeblich darüber nach,
wie ich aus meiner Sackgasse herauskommen könnte.
Natascha wandte sich plötzlich mir zu. Ihre
Augen strahlten. »Wie schön das ist. Das Wasser und die kleinen Schleppboote
und drüben die Brücke!«
Sie hatte längst vergessen, was vorher
gewesen war. Ich hatte das schon ein paar Mal bemerkt. Sie war rasch und vergaß
auch rasch, es war sehr beglückend für einen Elefanten wie mich, mit dem zähen
Gedächtnis für Mißgeschicke und dem schlechten für Freude. »Ich bete dich an«,
sagte ich. »Hier, jetzt, unter diesem Mond und neben diesem Fluß, der ins Meer
mündet und in dem sich hunderttausend zerbrochene Monde spiegeln. Ich bete dich
an und wage sogar, furchtlos das uralte Klischee zu benützen und zu sagen, daß
die Washington-Brücke wie ein Diadem über dem unruhigen Hudson hängt und daß
ich wollte, es wäre wirklich ein Diadem und ich wäre Rockefeller oder Napoleon
der Vierte oder der Besitzer von van Cleef und Arpels. Sehr kindisch, aber das
war notwendig.«
»Wieso kindisch? Brauchst du immer eine
Rückversicherung? Oder weißt du wirklich nicht, wieviel solche Kindlichkeiten
Frauen leicht ertragen können?«
»Ich bin ein geborener Feigling, der sich
immer aufs neue Mut machen muß.«
Ich küßte sie. »Ich wollte, ich hätte
Autofahren gelernt«, sagte ich.
»Das kannst du doch jeden Tag lernen.«
»Autofahren für einen Rolls-Royce. Dann
könnten wir den Anstandswärter vor einer Bierkneipe absetzen. Ich komme mir
vor, als wäre ich in Madrid; immer von einer Duenna begleitet.«
Sie lachte. »Er stört uns doch gar nicht.
Er kann nicht Deutsch und kein Wort Französisch außer: Madame.«
»Er stört uns nicht?«
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