E.M. Remarque
gehen, mein Herr. Es tut mir leid,
aber es muß alles aufgenommen werden.«
Der zweite Polizist stand jetzt neben ihm. Es war nichts
zu machen. Hoffentlich geht es gut, dachte Ravic und ging mit.
Der zuständige Beamte im Polizeirevier hatte
schweigend dem Gendarmen und dem Polizisten, der das Protokoll neu aufnahm,
zugehört. Jetzt wandte er sich an Ravic. »Sie sind kein Franzose«, sagte er. Er
fragte nicht; er stellte es fest.
»Nein«, sagte Ravic.
»Was sind Sie?«
»Tscheche.«
»Wie kommt es, daß Sie hier Arzt sind? Als Ausländer
können Sie doch nicht praktizieren, wenn Sie nicht naturalisiert sind?«
Ravic lächelte. »Ich praktiziere hier nicht. Ich bin hier
als Tourist. Zu meinem Vergnügen.«
»Haben Sie Ihren Paß bei sich?«
»Brauchen wir das, Fernand?« fragte der andere Beamte. »Der
Herr hat der Frau geholfen, und wir haben seine Adresse. Das ist doch genug. Da
sind ja noch mehr Zeugen.«
»Es interessiert mich. Haben Sie Ihren Paß bei sich? Oder
Ihre Carte d’Identité?«
»Natürlich nicht«, sagte Ravic. »Wer hat schon immer
seinen Paß bei sich?«
»Wo haben Sie ihn?«
»Im Konsulat. Habe ihn vor einer Woche hingebracht. Er
muß verlängert werden.«
Ravic wußte, daß, wenn er sagte, der Paß sei im Hotel,
ein Polizist mitgeschickt und der Schwindel sofort entdeckt werden konnte.
Außerdem hatte er zur Vorsicht ein falsches Hotel angegeben. Mit dem Konsulat
hatte er eine bessere Chance.
»Bei welchem Konsulat?« fragte Fernand. *
»Beim tschechischen. Wo sonst?«
»Wir können da anrufen und anfragen.« Fernand sah Ravic
an.
»Natürlich.«
Fernand wartete eine Weile. »Schön«, sagte er dann.
»Werden wir mal anfragen.«
Er stand auf und ging in einen Nebenraum. Der andere
Beamte war sehr verlegen. »Entschuldigen Sie, mein Herr«, sagte er zu Ravic.
»Es ist natürlich gar nicht nötig. Wird sofort aufgeklärt sein! Wir sind Ihnen
sehr dankbar für Ihre Hilfe.«
Aufgeklärt, dachte Ravic. Er sah sich ruhig um, während
er eine Zigarette hervorholte. Der Gendarm stand neben der Tür. Das war
zufällig.
Niemand verdächtigte ihn bis jetzt ernstlich.
Er konnte ihn beiseite stoßen – aber da waren noch der
Mann von der Baufirma und zwei Arbeiter. Er gab es auf. Es war zu schwierig,
durchzukommen; draußen vor der Tür standen auch gewöhnlich immer noch ein paar
Polizisten herum.
Fernand kam zurück. »Auf dem Konsulat ist kein Paß mit
Ihrem Namen.«
»Möglich«, sagte Ravic.
»Wieso möglich?«
»Ein einzelner Beamter weiß doch nicht gleich alles am
Telefon. Da sind ein halbes Dutzend Leute mit diesen Dingen beschäftigt.«
»Dieser wußte Bescheid.«
Ravic erwiderte nichts. »Sie sind kein Tscheche«, sagte
Fernand.
»Hör mal, Fernand«, begann der zweite Beamte.
»Sie haben keinen tschechischen Akzent«, sagte Fernand.
– »Meinetwegen nicht.«
»Sie sind ein Deutscher«, erklärte Fernand triumphierend.
»Und Sie haben keinen Paß.«
»Nein«, erwiderte Ravic. »Ich bin ein Marokkaner, und ich
habe jeden französischen Paß der Welt.«
»Mein Herr!« brüllte Fernand. »Was erlauben Sie sich? Sie
beleidigen das französische Kolonialreich.«
»Merde!« sagte einer der Arbeiter. Der Vertreter der
Baufirma machte ein Gesicht, als wollte er salutieren!
»Fernand, nun laß doch ...«
»Sie lügen! Sie sind kein Tscheche! Haben Sie einen Paß
oder nicht? Antworten Sie!«
Die Ratte im Menschen, dachte Ravic. Die Ratte im
Menschen, die man nie ersäufen kann. Was geht es diesen Idioten an, ob ich
einen Paß habe? Aber die Ratte riecht etwas, und schon kriecht sie aus dem
Loch.
»Antworten Sie!« schnauzte Fernand.
Ein Stück Papier! Ob man es besaß oder nicht. Diese
Kreatur würde sich entschuldigen und verbeugen, wenn man diesen
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