E.M. Remarque
stand auf und kam zu ihm
herüber. Während sie ging, veränderte sich ihr Gesicht. Es zerschmolz und wurde
verwischt; nur die Augen blieben starr und durchsichtig wie Kristalle. Sie
erschienen Ravic heller als jemals zuvor. Sie waren von einer beinahe zornigen
Kraft.
»Du bist zurück«, sagte sie leise, fast atemlos.
Sie stand dicht vor ihm. Einen Augenblick machte sie eine
Bewegung, als wolle sie ihn umarmen. Aber sie tat es nicht. Sie gab ihm auch
nicht die Hand.
»Du bist zurück«, wiederholte sie.
Ravic antwortete nicht.
»Seit wann bist du zurück?« fragte sie dann ebenso leise
wie vorher.
»Seit zwei Wochen.«
»Seit zwei… und ich habe es nicht … du hast nicht
einmal...«
»Niemand wußte, wo du warst. Dein Hotel nicht – und die
Scheherazade auch nicht.«
»Die Scheherazade … ich war doch …« Sie brach ab. »Warum
hast du mir nie geschrieben?«
»Ich konnte nicht.«
»Du lügst.«
»Gut. Ich wollte nicht. Ich wußte nicht, ob ich
wiederkommen würde.«
»Du lügst wieder. Das ist kein Grund.«
»Doch. Ich konnte wiederkommen oder nicht. Verstehst du
das nicht?«
»Nein, aber ich verstehe, daß du zwei Wochen hier bist
und nicht das geringste getan hast, um mich ...«
»Joan«, sagte Ravic ruhig. »Du hast diese braunen
Schultern nicht in Paris bekommen.«
Der Kellner strich schnuppernd vorbei. Er warf einen
Blick auf Joan und Ravic. Die Szene von vorher saß ihm wohl noch in den
Knochen. Er nahm wie zufällig mit einem Teller zwei Messer und zwei Gabeln von
der rotweiß gewürfelten Tischdecke fort. Ravic bemerkte es. »Alles in Ordnung«,
sagte er.
»Was ist in Ordnung?« fragte Joan.
»Nichts. Da war irgend etwas vorher.«
Sie starrte ihn an. »Wartest du hier auf eine Frau?«
»Mein Gott, nein. Irgendwelche Leute hatten eine Szene.
Jemand blutete. Ich habe mich diesmal nicht eingemischt.«
»Eingemischt?« Sie verstand plötzlich. Ihr Ausdruck
veränderte sich. »Was machst du hier? Sie werden dich wieder verhaften. Ich
weiß jetzt alles. Ein halbes Jahr Gefängnis ist das nächste. Du mußt fort! Ich
wußte nicht, daß du in Paris bist! Ich dachte, du kämest nie wieder.«
Ravic antwortete nicht.
»Ich dachte, du kämest nie wieder«, wiederholte sie.
Ravic sah sie an. »Joan ...«
»Nein! Es ist alles
nicht wahr! Nichts ist wahr! Nichts!«
»Joan«, sagte Ravic behutsam. »Geh zu deinem Tisch
zurück.«
Ihre Augen waren plötzlich feucht. »Geh zu deinem Tisch
zurück«, sagte er.
»Du bist schuld!« stieß sie hervor. »Du! Du allein!«
Sie drehte sich abrupt um und ging zurück. Ravic schob
seinen Tisch beiseite und setzte sich. Er sah das Glas Calvados und machte eine
Bewegung, es zu trinken. Er tat es nicht. Er war ruhig gewesen, während er mit
Joan sprach. Jetzt plötzlich fühlte er die Erregung. Sonderbar, dachte er. Die
Brustmuskeln unter der Haut vibrierten. Warum gerade die? Er nahm das Glas und
betrachtete seine Hand. Sie war ruhig. Er trank nicht zu ihr hinüber. Der
Kellner kam vorbei. »Zigaretten«, sagte Ravic. »Caporal.«
Er zündete eine an und trank die zweite Hälfte seines
Glases. Wieder spürte er Joans Blick. Was erwartete sie? dachte er. Daß ich
mich vor ihren Augen aus Unglück betrinke? Er winkte dem Kellner und zahlte. Im
Augenblick, als er aufstand, begann Joan lebhaft zu einem ihrer Begleiter zu
sprechen. Sie blickte nicht auf, als er an ihrem Tisch vorbeiging. Ihr Gesicht
war hart und kalt und ohne Ausdruck, während sie angestrengt lächelte.
Ravic ging durch die Straßen und fand sich, ohne es
überlegt zu haben, wieder vor der Scheherazade. Morosows Gesicht lächelte auf.
»Gute Haltung, Soldat! Gab dich schon fast verloren. Freut einen immer, wenn
eine Prophezeiung eintrifft.«
»Freu dich nicht zu früh.«
»Du dich auch nicht. Du kommst zu spät.«
»Das weiß ich. Ich habe sie schon
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