E.M. Remarque
würden nicht glauben, mein Herr, daß ich vor achtzehn Jahren
Portier im Hotel Ruhl in Nizza war, wie?«
»Doch.«
»Die Zeiten! Das Trinkgeld! Die herrliche Zeit nach dem
Krieg! Heute ...«
Ravic war ein guter Gast. Er verstand das Hotelpersonal,
ohne daß es allzu deutlich zu werden brauchte. Er holte einen Fünffrankschein
hervor und legte ihn auf den Tisch.
»Danke, mein Herr. Viel Vergnügen noch! Sie sehen jünger
aus, mein Herr!«
»Fühle mich auch so. Guten Abend.«
Ravic stand auf der Straße. Wozu war er in das Hotel
gegangen? Jetzt fehlte nur noch, daß er in die Scheherazade ging und sich da
besoff.
Er starrte in den Himmel, der voller Sterne hing. Er
sollte froh sein, daß es so gekommen war. Er sparte eine Menge unnötiger
Auseinandersetzungen. Er hatte es gewußt, und Joan hatte es auch gewußt. Zum
Schluß wenigstens. Sie hatte getan, was das einzig Richtige war. Keine
Erklärungen. Erklärungen waren zweitklassig. Im Gefühl gab es keine
Erklärungen. Nur Handlungen. Gottlob, daß Joan davon nichts wußte. Sie hatte
gehandelt. Fertig. Aus. Kein Hin- und Hergezerre. Er hatte auch gehandelt. Was
stand er also jetzt noch hier? Es mußte die Luft sein. Dieses weiche Gewebe aus
Mai und Abend in Paris. Und die Nacht natürlich. Nachts war man immer anders
als am Tage.
Er ging zurück in das Hotel. »Kann ich bitte einmal
telefonieren?«
»Gewiß, mein Herr. Wir haben aber keine Telefonzelle. Nur
den Apparat hier.«
»Das genügt.«
Ravic sah auf seine Uhr. Es konnte sein, daß Veber in der
Klinik war. Es war die Stunde der letzten Nachtvisite. »Ist Doktor Veber da?«
fragte er die Schwester. Er kannte ihre Stimme nicht. Sie mußte neu sein.
»Doktor Veber ist nicht zu sprechen.«
»Ist er nicht da?«
»Er ist da. Aber er ist jetzt nicht zu sprechen.«
»Hören Sie«, sagte Ravic. »Gehen Sie und sagen Sie ihm,
Ravic sei am Telefon. Gehen Sie sofort. Es ist wichtig. Ich warte am Apparat.«
»Gut«, sagte die Schwester zögernd. »Ich werde ihn
fragen, aber er wird nicht kommen.«
»Wir werden sehen. Fragen sie ihn. Ravic.«
Veber war einen Moment später am Apparat. »Ravic! Wo sind
Sie?«
»In Paris. Heute angekommen. Operieren Sie etwa noch?«
»Ja. In zwanzig Minuten. Ein eiliger Blinddarm. Wollen
wir uns später treffen?«
»Ich kann ’rüberkommen.«
»Großartig. Wann?«
»Gleich.«
»Gut. Ich warte dann auf Sie.«
»Hier ist guter Schnaps«, sagte Veber. »Da sind
Zeitungen und Fachblätter. Machen Sie sich’s bequem.«
»Einen Schnaps. Und einen Kittel und Handschuhe.«
Veber sah Ravic an. »Einfacher Blinddarm. Unter Ihrer
Würde. Ich kann das rasch mit den Schwestern machen. Sie sind doch sicher müde
genug.«
»Veber, tun Sie mir den Gefallen, und lassen Sie mich die
Operation machen. Ich bin nicht müde, und ich bin völlig in Ordnung.«
Veber lachte. »Sie haben es verflucht eilig, wieder ins
Handwerk zu kommen. Schön. Wie Sie wollen. Kann es eigentlich verstehen.«
Ravic wusch sich und ließ sich den Kittel und die
Handschuhe überstreifen. Der Operationsraum. Er atmete den Geruch des Äthers
tief ein. Eugenie stand am Kopfende des Tisches und machte die Narkose. Eine
zweite, sehr schöne junge Schwester ordnete die Instrumente. »Guten Abend,
Schwester Eugenie«, sagte Ravic.
Sie ließ fast den Tropfer fallen. »Guten Abend, Doktor
Ravic«, erwiderte sie.
Veber schmunzelte. Es war das erstemal, daß sie Ravic so
angeredet hatte. Ravic beugte sich über den Patienten. Das starke
Operationslicht brannte weiß und intensiv. Es schloß die Welt ringsum ab. Es
schloß die Gedanken ab. Es war sachlich und kalt und unbarmherzig und gut.
Ravic nahm das Messer, das die schöne Schwester ihm reichte. Er fühlte den
Stahl kühl durch die dünnen Handschuhe. Es war gut, ihn zu fühlen. Es
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