E.M. Remarque
war gut,
aus schwankender Ungewißheit wieder zu klarer Präzision zu kommen. Er machte
den Schnitt. Schmal und rot lief das Blut dem Messer nach. Alles wurde
plötzlich einfach. Er fühlte zum erstenmal, seit er zurück war, sich selbst
wieder. Das sausende lautlose Licht. Zu Hause, dachte er. Endlich!
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ist da«, sagte Morosow.
»Wer?«
Morosow strich seine Uniform glatt. »Tu nicht so, als
wenn du es nicht wüßtest. Ärgere deinen Vater Boris nicht auf offener Straße.
Meinst du, ich weiß nicht, weshalb du in zwei Wochen dreimal in der
Scheherazade warst? Einmal mit einem Wunder von blauen Augen und schwarzen
Haaren, aber zweimal allein? Der Mensch ist schwach – wo wäre sonst sein Reiz?«
»Geh zum Teufel«, sagte Ravic. »Demütige mich nicht,
gerade wenn ich meine Kraft nötig habe – du geschwätziger Türöffner.«
»Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte es dir nicht
gesagt?«
»Natürlich.«
Morosow trat zur Seite und ließ zwei Amerikaner ein.
»Dann geh zurück, und komm an einem andern Abend wieder«, sagte er.
»Ist sie allein hier?«
»Allein lassen wir nicht einmal regierende Fürstinnen
’rein, das müßtest du wissen. Sigmund Freud würde an deiner Frage gefallen
haben.«
»Was weißt du von Sigmund Freud. Du bist betrunken, und
ich werde mich über dich bei deinem Manager, dem Captain Tschedschenedse,
beschweren.«
»Captain Tschedschenedse war einer der Leutnants in dem
Regiment, in dem ich Oberstleutnant war, Knabe. Er weiß das noch immer.
Versuch’s mal.«
»Schön. Laß mich vorbei.«
»Ravic!« Morosow legte ihm seine schweren Hände auf die
Schultern. »Sei kein Esel! Geh, telefoniere dem Wunder mit den blauen Augen und
komm mit ihr wieder, wenn du schon mußt. Einfacher Ratschlag eines erfahrenen
alten Mannes. Äußerst billig, dafür aber immer wirksam.«
»Nein, Boris.« Ravic sah ihn an. »Tricks haben hier
keinen Zweck. Ich will auch keine.«
»Dann geh nach Hause«, sagte Morosow.
»In den muffigen
Palmenraum? Oder in meine Bude?«
Morosow ließ Ravic los und schritt einem Paar voraus, das
ein Taxi wollte. Ravic blieb stehen, bis er zurückkam. »Du bist vernünftiger,
als ich dachte«, sagte Morosow. »Sonst wärst du schon drin.«
Er schob seine goldbetreßte Kappe zurück. Bevor er weiter
sprechen konnte, erschien ein angetrunkener, junger Mann in einem weißen
Smoking in der Tür. »Herr Oberst! Einen Rennwagen!«
Morosow winkte dem nächsten Taxi in der Reihe und
geleitete den leicht Schwankenden hinein. »Sie lachen nicht«, sagte der
Betrunkene. »Oberst war doch ein guter Witz – oder nicht?«
»Sehr gut. Rennwagen war fast noch besser.«
»Ich habe mir die Sache überlegt«, sagte Morosow, als er
zurückkahm. »Geh ’rein. Pfeif auf das andere. Ich würde es auch so machen.
Irgendwann passiert es doch; warum dann nicht sofort? Bring es zu Ende, so oder
so. Wenn wir nicht mehr kindisch sind, sind wir alt.«
»Ich habe es mir auch überlegt. Ich gehe anderswo hin.«
Morosow blickte Ravic amüsiert an. »Schön«, sagte er
schließlich. »Ich sehe dich dann in einer halben Stunde wieder.«
»Oder auch nicht.«
»Dann in einer Stunde.«
Zwei Stunden später saß Ravic in der Cloche d’Or. Das
Lokal war noch ziemlich leer. An der langen Bar unten hockten die Huren wie
Papageien auf der Stange und schwatzten. Dazwischen standen ein paar Händler
mit Gipskokain, die auf Touristen warteten. Oben saßen einige Paare und aßen
Zwiebelsuppe. Auf einem Sofa in der Ecke gegenüber von Ravic flüsterten zwei
Lesbierinnen, die Sherry Brandy tranken. Eine, in einem Tailormade mit Krawatte
trug ein Monokel; die andere war eine rothaarige, volle Person in einem tief
ausgeschnittenen, glitzernden Abendkleid.
Idiotisch, dachte Ravic. Warum bin
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