Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
Vom Netzwerk:
schüt­tel­te.
Heu­te hat man nichts – höchs­tens ein biß­chen Ver­zweif­lung, ein biß­chen Mut und
sonst Frem­de in­nen und au­ßen. Wenn die Lie­be da­hin­fliegt – das ist wie ei­ne
Fa­ckel in tro­ckenes Stroh. Man hat nichts als sie, das macht sie an­ders –
wil­der, wich­ti­ger und zer­stö­ren­der.« Er goß sein Glas voll. »Man soll nicht
zu­viel dar­über nach­den­ken. Wir sind nicht in ei­ner Si­tua­ti­on, um viel
nach­zu­den­ken. Es macht nur ka­putt. Und wir wol­len doch nicht ka­putt­ge­hen, wie?«
    Jo­an schüt­tel­te den Kopf. »Nein. Was war das für ei­ne
Frau, Ra­vic?«
    »Ei­ne Pa­ti­en­tin. Ich war schon ein­mal mit ihr da. Da­mals,
als du noch sangst. Hun­dert Jah­re her. Tust du jetzt ir­gend et­was?«
    »Klei­ne Rol­len. Ich glau­be, ich bin nicht gut. Aber ich
ver­die­ne ge­nug, um un­ab­hän­gig zu sein. Ich will je­den Au­gen­blick weg­ge­hen
kön­nen. Ich ha­be kei­ne Am­bi­tio­nen.«
    Ih­re Au­gen wa­ren tro­cken. Sie trank das Glas Cal­va­dos aus
und stand auf. Sie wirk­te mü­de. »Warum ist das al­les so in ei­nem, Ra­vic? Warum?
Es muß doch einen Grund ha­ben. Wir wür­den doch sonst nicht fra­gen?«
    Er lä­chel­te trü­be.
    »Das ist die äl­tes­te Fra­ge der Mensch­heit, Jo­an. Warum –
die Fra­ge, an der al­le Lo­gik, al­le Phi­lo­so­phie, al­le Wis­sen­schaft bis jetzt
zer­bro­chen sind.«
    Sie ging. Sie ging. Sie war an der Tür. Et­was schnell­te
in Ra­vic hoch. Sie ging. Sie ging. Er rich­te­te sich auf. Es war plötz­lich
un­mög­lich, al­les war un­mög­lich, nur ei­ne Nacht noch, ei­ne Nacht, ein­mal noch
das schla­fen­de Ge­sicht an der Schul­ter, mor­gen konn­te man kämp­fen, ein­mal noch
die­sen Atem ne­ben sich, ein­mal noch in dem Fal­len die sanf­te Il­lu­si­on, den
sü­ßen Be­trug. Geh nicht, geh nicht, wir ster­ben in Schmer­zen und le­ben in
Schmer­zen, geh nicht, geh nicht, was ha­be ich denn? Was ist mir mein kah­ler
Mut? Wo­hin trei­ben wir? Nur du bist wirk­lich!
    Hells­ter Traum! Ach, die As­pho­de­len­wie­sen des Ver­ges­sens!
Ein­mal nur noch! Ein­mal den Fun­ken Ewig­keit! Für wen be­wah­re ich mich denn? Für
wel­ches trost­lo­se Et­was? Für wel­ches fins­te­re Un­be­stimmt? Be­gra­ben, ver­lo­ren,
zwölf Ta­ge hat mein Le­ben nur noch, zwölf Ta­ge, und da­hin­ter ist nichts, zwölf
Ta­ge und die­se Nacht, schim­mern­de Haut, warum kamst du ge­ra­de in die­ser Nacht,
die los­ge­ris­sen von den Ster­nen schwimmt, ver­wölkt von al­ten Träu­men, warum
durch­brachst du die Forts und Ver­haue in die­ser Nacht, in der nie­mand mehr lebt
als wir? Hob sich nicht die Wel­le? Warf sie sich nicht… »Jo­an«, sag­te er.
    Sie wand­te sich um. Ihr Ge­sicht war plötz­lich über­flo­gen
von ei­nem wil­den, atem­lo­sen Glanz. Sie ließ ih­re Sa­chen fal­len und stürz­te auf
ihn zu.

26
    26    Der
Wa­gen stopp­te an der Ecke der Rue de Vau­gi­rard. »Was ist los?« frag­te
Ra­vic.
    »De­mons­tra­ti­ons­zug.« Der Chauf­feur sah sich nicht um.
»Kom­mu­nis­ten die­ses Mal.«
    Ra­vic blick­te zu Ka­te Hegström hin­über. Sie saß schmal
und zart im Ko­stüm ei­ner Hof­da­me Louis XIV. in ih­rer Ecke. Ihr Ge­sicht war
stark ge­pu­dert. Es wirk­te trotz­dem blaß. Die Kno­chen hat­ten sich
durch­ge­ar­bei­tet an den Schlä­fen und an den Wan­gen.
    »Gut«, sag­te er. »Ju­li 1939, ei­ne fa­schis­ti­sche
De­mons­tra­ti­on des Croix de feu vor fünf Mi­nu­ten – jetzt ei­ne der Kom­mu­nis­ten –,
und wir bei­de da­zwi­schen im Ko­stüm des großen 17. Jahr­hun­derts. Gut, Ka­te.«
    »Es macht nichts.« Sie lä­chel­te.
    Ra­vic sah auf sei­ne Es­car­pins her­un­ter. Die Iro­nie der
Si­tua­ti­on war stark. Es war un­nö­tig, noch dar­über nach­zu­den­ken, daß je­der
Po­li­zist ihn au­ßer­dem ver­haf­ten konn­te.
    »Soll ich einen an­dern Weg neh­men?« frag­te Ka­te Hegströms
Chauf­feur.
    »Sie kön­nen nicht mehr wen­den«, sag­te Ra­vic. »Es sind
be­reits zu vie­le Wa­gen hin­ter uns.«
    Die De­mons­tra­ti­on zog ru­hig über die Quer­stra­ße. Sie
hat­ten Fah­nen und Schil­der. Nie­mand sang. Ei­ne gan­ze An­zahl Po­li­zis­ten be­glei­te­te
den Zug. An der Ecke der Rue de Vau­gi­rard stand un­auf­fäl­lig ei­ne

Weitere Kostenlose Bücher