E.M. Remarque
Emigrant Wiesenhoff hatte die abgeblühten Nelken vor
seinem Fenster damit ersetzt. In warmen Nächten roch das Haus jetzt wie eine
Grabkapelle oder ein Klostergarten. Ravic wußte nicht, ob Wiesenhoff es aus
Pietät für den alten Goldberg getan hatte, oder einfach, weil Lilien sich gut
in Holzkästen ziehen lassen. Das Telefon schwieg. Diese Nacht werde ich
vielleicht schlafen, dachte er und ging zum Bett zurück.
Joan kam, während er schlief. Sie knipste sofort das
Deckenlicht an und blieb in der Tür stehen. Er öffnete die Augen. »Bist du
allein?« fragte sie.
»Nein. Mach das Licht aus und geh.«
Sie zögerte einen Moment. Dann ging sie und öffnete die
Tür des Badezimmers. »Schwindel«, sagte sie und lächelte.
»Scher dich zum Teufel. Ich bin müde.«
»Müde? Wovon?«
»Müde. Adieu.«
Sie kam näher. »Du bist jetzt erst nach Hause gekommen.
Ich habe alle zehn Minuten angerufen.«
Sie spähte zu ihm hinüber. Er sagte nicht, daß sie lüge.
Sie war umgezogen. Sie hat mit dem Kerl geschlafen, ihn nach Hause geschickt
und ist jetzt gekommen, um mich zu überraschen und um Kate Hegström, die sie
hier glaubte, zu zeigen, daß ich ein verfluchter Hurenbock bin, bei dem die
Frauen nachts aus und ein gehen und dem man ausweichen muß, dachte er. Wider
seinen Willen lächelte er. Perfekte Aktion zwang ihn leider stets zur
Bewunderung – selbst, wenn sie gegen ihn gerichtet war.
»Was lachst du?« fragte Joan heftig.
»Ich lache. Das ist alles. Mach das Licht aus. Du siehst
schauderhaft darin aus. Und geh.«
Sie beachtete es nicht. »Wer war die Hure, mit der du
warst?«
Ravic richtete sich halb auf. »Scher dich ’raus, oder ich
werfe dir etwas an den Kopf!«
»Ach so …«, sie betrachtete ihn. »So ist das! Soweit ist
das schon.«
Ravic griff nach einer Zigarette. »Sei nicht lächerlich.
Du lebst mit einem andern Mann und machst hier eifersüchtiges Theater. Geh
zurück zu deinem Schauspieler und laß mich in Ruhe.«
»Das ist ganz was anderes«, sagte sie.
»Natürlich!«
»Natürlich ist es etwas anderes!« Sie brach plötzlich
aus. »Du weißt ganz genau, daß es etwas anderes ist. Es ist etwas, wofür ich
nichts kann. Ich bin nicht glücklich darüber. Es ist gekommen, ich weiß nicht
wie ...«
»Es kommt immer, man weiß nicht wie ...«
Sie starrte ihn an. »Du … du warst immer so sicher! Du
warst so sicher, daß es einen verrückt machen konnte! Da war nichts, was dich
aus deiner Sicherheit bringen konnte! Ich haßte deine Überlegenheit! Wie oft
habe ich sie gehaßt! Ich brauche Enthusiasmus! Ich brauche jemand, der verrückt
mit mir ist! Ich brauche jemand, der ohne mich nicht leben kann! Du kannst ohne
mich leben! Du konntest es immer! Du brauchst mich nicht. Du bist kalt! Du bist
leer! Du weißt nichts von Liebe! Du warst nie wirklich für mich da! Ich habe
gelogen, damals, als ich sagte, es sei so gekommen, weil du zwei Monate fort
warst! Es wäre auch gekommen, wenn du hier gewesen wärest. Lach nicht! Ich weiß
die Unterschiede, ich weiß alles, ich weiß, daß der andere nicht klug ist und
nicht ist wie du, aber er wirft sich weg für mich, nichts ist ihm wichtig außer
mir, er denkt nichts als mich, er will nichts als mich, er weiß nichts als
mich, und das ist es, was ich brauche!«
Sie stand heftig atmend vor dem Bett. Ravic griff nach
einer Flasche Calvados. »Weshalb bist du denn hier?« fragte er.
Sie antwortete nicht gleich. »Du weißt es«, sagte sie
dann leise. »Warum fragst du?«
Er goß ein Glas voll
und hielt es ihr hinüber. »Ich will nicht trinken«, erklärte sie. »Was war das
für eine Frau?«
»Eine Patientin.« Ravic hatte keine Lust, zu lügen. »Eine
Frau, die sehr krank ist.«
»Das ist nicht wahr. Lüg besser. Eine kranke Frau ist im
Hospital. Nicht in einem Nachtklub.«
Ravic stellte das Glas zurück. Wahrheit wirkte oft so
unwahrscheinlich. »Es ist wahr«,
Weitere Kostenlose Bücher