E.M. Remarque
Dinge. Zuviel getrunken heute. Komm, trink auch etwas und geh.«
Sie setzte sich zu ihm auf das Bett und nahm das Glas.
»Ich habe es verstanden«, sagte sie. Ihr Gesicht hatte sich verändert. Wie ein
Spiegel, dachte er. Immer wieder spiegelt es zurück, was man dagegen sprach. Es
war jetzt gesammelt und schön. »Ich habe es verstanden«, sagte sie. »Und
manchmal auch gefühlt. Aber, Ravic, über deiner Liebe zur Liebe und zum Leben
hast du mich oft vergessen. Ich war ein Anlaß – und dann gingst du in deine
silbernen Städte und wußtest nur noch wenig von mir.«
Er sah sie lange an. »Vielleicht«, sagte er.
»Du warst so sehr mit dir beschäftigt, du entdecktest so
viel in dir, daß ich irgendwie am Rande deines Lebens stehenblieb.«
»Vielleicht. Aber du bist nichts, um etwas darauf zu
bauen, Joan. Das weißt du auch.«
»Wolltest du das?«
»Nein«, sagte Ravic nach einigem Nachdenken. Dann
lächelte er. »Wenn man ein Refugié ist von allem, was fest war, gerät man
manchmal in sonderbare Situationen. Und man tut sonderbare Dinge. Natürlich
wollte ich das nicht. Aber wer nur ein einziges Lamm hat, will manchmal so
viele Dinge damit tun.«
Die Nacht war plötzlich
voll Frieden. Sie war wieder wie eine der Nächte, eine Ewigkeit her, wenn Joan
neben ihm gelegen hatte. Die Stadt war weit, fern, nur noch ein sanftes Summen
am Horizont, die Kette der Stunden war losgehakt, und die Zeit war so lautlos,
als stände sie still. Das Einfachste und Unfaßbarste der Welt war wieder da:
zwei Menschen, die miteinander sprachen, jeder für sich – und Laute, Worte
genannt, formten trotzdem gleiche Bilder und Gefühle in der zuckenden Masse
hinter den Knochen der Schädel – und aus sinnlosen Stimmbandvibrationen und den
unerklärlichen Reaktionen darauf und den schmieriggrauen Windungen wuchsen
plötzlich wieder Himmel, in denen sich Wolken, Bäche, Vergangenheit, Blühen,
Welken und gefaßtes Wissen spiegelten.
»Du liebst mich, Ravic …«, sagte Joan, und es war nur
halb eine Frage.
»Ja. Aber ich tue alles, um von dir loszukommen.«
Er sagte es ruhig, wie etwas, was beide wenig anging. Sie
beachtete es nicht. »Ich kann mir nicht denken, daß wir jemals nicht mehr
zusammen sind. Für eine Zeit, ja. Aber nicht für immer. Nie für immer«,
wiederholte sie, und ein Schauer lief über ihre Haut. »Nie ist ein
entsetzliches Wort, Ravic. Ich kann es mir nicht denken, daß wir nie mehr
zusammen sind.«
Ravic antwortete nicht. »Laß mich hierbleiben«, sagte
sie. »Ich will nie wieder zurückgehen. Nie.«
»Du würdest morgen zurückgehen. Du weißt das.«
»Ich kann mir nicht denken, wenn ich hier bin, daß ich
nicht hierbleibe.«
»Das ist dasselbe. Du weißt das auch.«
Der Hohlraum inmitten der Zeit. Die kleine, erleuchtete
Kabine des Zimmers wieder, dieselbe wie früher – und da war auch der Mensch
wieder, den man liebte, und er war es auf eine sonderbare Weise schon nicht
mehr, man konnte ihn greifen, wenn man nur die Arme ausstreckte, und man konnte
ihn doch wieder nicht erreichen.
Ravic setzte das Glas nieder. »Du weißt, du würdest
wieder gehen – morgen, übermorgen, irgendwann …«, sagte er.
Joan senkte den Kopf. »Ja.«
»Und wenn du wiederkämest – du weißt, du würdest immer
wieder gehen?«
»Ja.«
Sie hob ihr Gesicht. Es war überströmt von Tränen.
»Was ist das nur, Ravic. Was ist es?«
»Ich weiß es auch nicht.« Er lächelte flüchtig. »Liebe
ist nicht sehr fröhlich manchmal, wie?«
»Nein.« Sie sah ihn an. »Was ist das nur mit uns, Ravic?«
Er hob die Schultern. »Ich weiß es auch nicht, Joan.
Vielleicht weil wir nichts anderes mehr haben, um uns festzuhalten. Früher
hatte man vieles – Sicherheit, Hintergrund, Glauben, Ziele –, alles freundliche
Geländer, an denen man sich halten konnte, wenn die Liebe einen
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