E.M. Remarque
Schritte
weg erkannte er die junge, sehr reiche Baronesse Remplart. Sie hatte einen
Engländer geheiratet und keine Gebärmutter mehr. Ravic hatte sie
herausgeschnitten. Fehldiagnose Durants. Fünfzigtausend Frank Honorar. Die
Sekretärin Durants hatte ihm das verraten. Ravic hatte zweihundert Frank
bekommen – die Frau, zehn Jahre ihres Lebens und die Möglichkeit, Kinder zu
bekommen, verloren.
Der Geruch des Regens, die tote, heiße Schwüle, die sich
mit dem Geruch des Parfüms, der Haut und der feuchten Haare vermischten. Die
Gesichter, abgewaschen vom Regen, waren nackter unter den Perücken als je
vorher ohne Kostüm. Ravic blickte umher; er sah viel Schönheit um sich herum;
er sah auch Geist und skeptische Klugheit – aber sein Auge war ebenso trainiert
auf die leichten Zeichen von Krankheit, und er wurde nicht leicht getäuscht
durch eine perfekte Oberfläche. Er wußte, daß eine bestimmte Gesellschaft in
allen Jahrhunderten, großen und kleinen, dieselbe war – aber er wußte auch, was
Fieber und Zerfall waren, und er kannte ihre Symptome. Laue Promiskuität, die
Toleranz der Schwäche; der Sport ohne Stärke; Geist ohne Diskretion; Witz des Witzes
wegen; Blut, das müde war, zerfunkelt in Ironie, in kleinen Abenteuern, in
schaler Gier, in geschliffenem Fatalismus, in matter Zwecklosigkeit. Von hier
würde die Welt nicht gerettet werden, dachte er. Aber von wo?
Er blickte zu Kate Hegström hinüber. »Sie bekommen nichts
zu trinken«, sagte sie. »Die Diener kommen nicht durch.«
»Das macht nichts.«
Sie wurden langsam in das nächste Zimmer gedrängt. Tische
mit Champagner standen an der Wand, sie wurden hereingeholt und rasch
aufgebaut.
Irgendwo brannten ein paar Leuchter. Durch ihr weiches
Licht zuckten die Blitze von draußen und rissen für Augenblicke die Gesichter
in einen fahlen, gespenstischen Sekundentod. Dann rollte der Donner und
übertönte die Stimmen und herrschte und drohte – bis das weiche Licht wiederkam
und mit ihm das Leben und die Schwüle.
Ravic zeigte zu den Champagnertischen hinüber. »Soll ich
Ihnen davon etwas holen?«
»Nein. Es ist zu heiß.« Kate Hegström sah ihn an. »Das
ist nun mein Fest.«
»Vielleicht hört es bald auf zu regnen.«
»Nein. Und wenn auch – es ist verdorben. Wissen Sie, was
ich möchte? Fort...«
»Gut. Ich auch. Dies hier ist wie kurz vor der
Französischen Revolution. Man erwartet jeden Moment die Sansculottes.«
Es dauerte lange, bis sie den Ausgang erreichten. Kate
Hegströms Kostüm sah hinterher aus, als hätte sie einige Stunden darin
geschlafen. Der Regen fiel draußen schwer und gerade hernieder. Die Häuser
gegenüber wirkten, als lägen sie hinter der wasserüberflossenen Scheibe eines
Blumengeschäftes.
Der Wagen summte heran. »Wohin wollen Sie?« fragte Ravic.
»Ins Hotel zurück?«
»Noch nicht. Aber wir können sonst nirgendwohin in diesen
Kostümen gehen. Lassen Sie uns noch etwas herumfahren.«
»Gut.«
Der Wagen glitt langsam durch das abendliche Paris. Der
Regen klopfte auf das Dach und übertönte fast alle anderen Geräusche. Der Arc
de Triomphe hob sich grau aus dem silbernen Fließen und verschwand. Die
Champs-Elysées mit ihren erleuchteten Fenstern glitten vorüber. Das Rond Point
duftete nach Blumen und Frische, eine bunte Woge in all dem Rauch. Weit, wie
ein Meer, mit seinen Tritonen und Meerungeheuern, dämmerte der Place de la
Concorde. Die Rue de Rivoli schwamm heran mit ihren hellen Bogengängen, ein
flüchtiger Glanz von Venedig, bevor der Louvre grau und ewig sich erhob mit dem
endlosen Hof, funkelnd in allen Fenstern. Die Kais dann, die Brücken,
schwingend, unwirklich in dem sachten Strömen. Lastkähne, ein Schlepper mit
einem warmen Licht,
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