E.M. Remarque
können sie ja mal
ansehen.«
Ravic wartete im Korridor. Drei Paar Schuhe standen vor
den Türen. Ein Paar Zugstiefeletten mit ausgeleierten Gummizügen. Aus dem Raum
dahinter klang ein brausendes Schnarchen. Die anderen beiden waren ein Paar
braune Männerhalbschuhe und ein Paar hochhackige Damenlackschuhe mit Knöpfen.
Sie standen vor derselben Tür und wirkten sonderbar verlassen, obschon sie
nebeneinander standen.
Der Portier brachte die Pyjamas. Sie waren Prachtstücke.
Blaue Kunstseide mit goldenen Sternen darauf. Ravic betrachtete sie eine Weile
sprachlos. Er verstand den Amerikaner. »Herrlich, was?« fragte der Portier
stolz.
Die Pyjamas waren neu. Sie waren sogar noch in dem Karton
des Magazin du Louvre, in dem sie gekauft waren. »Schade«, sagte Ravic. »Ich
hätte gern die Dame gesehen, die sie ausgesucht hat.«
»Sie können sie haben für diese Nacht. Sie brauchen sie
nicht zu kaufen, mein Herr.«
»Was kostet die Miete?«
»Nach Belieben.«
»Sind Sie kein Franzose?«
»Doch. Aus St. Nazaire.«
»Dann sind Sie verdorben worden durch den Umgang mit
Amerikanern. Außerdem – für diese Pyjamas ist nichts zuviel.«
»Freut mich, daß Sie
Ihnen gefallen. Gute Nacht, mein Herr. Ich werde sie dann morgen bei der Dame
abholen.«
»Ich werde sie Ihnen morgen früh selbst übergeben. Wecken
Sie mich um halb acht. Klopfen Sie nur leise an. Ich höre es schon. – Gute
Nacht.«
»Sehen Sie sich das an«, sagte Ravic zu Joan Madou und zeigte die
Pyjamas. »Ein Kostüm für einen Weihnachtsmann. Dieser Portier ist ein Zauberer.
Ich werde die Sachen sogar anziehen. Man muß nicht nur den Mut, sondern auch
die Unbefangenheit zur Lächerlichkeit haben.«
Er ordnete die Decken auf der Chaiselongue. Es war ihm
gleichgültig, wo er schlief, in seinem Hotel oder hier. Er hatte auf dem
Korridor ein erträgliches Badezimmer gefunden und von dem Portier eine neue
Zahnbürste bekommen. Alles andere war ihm egal. Die Frau war irgend etwas wie
ein Patient.
Er füllte ein Wasserglas mit Kognak und stellte es mit
einem der kleinen Gläser, die der Portier gebracht hatte, neben das Bett. »Ich
glaube, das ist genug für Sie«, sagte er dann. »Es ist einfacher so. Ich
brauche dann nicht mehr aufzustehen und nachzufüllen. Die Flasche und das
andere Glas nehme ich herüber zu mir.«
»Ich brauche das kleine Glas nicht. Ich kann aus dem
anderen trinken.«
»Noch besser.« Ravic packte sich auf der Chaiselongue
zurecht. Es gefiel ihm, daß die Frau sich nicht weiter darum kümmerte, ob er es
bequem hatte. Sie hatte erreicht, was sie wollte – jetzt entwickelte sie
gottlob keine überflüssigen Hausfraueneigenschaften.
Er goß ein Glas voll und stellte die Flasche auf den
Boden. »Salute!«
»Salute! Und danke!«
»Das ist in Ordnung. Ich hatte ohnehin nicht viel Lust,
durch den Regen zu gehen.«
»Regnet es noch?«
»Ja.«
Das leise Klopfen kam von draußen durch die Stille, als
wolle etwas hinein, grau, trostlos und ohne Form, etwas, das trauriger war als
Traurigkeit – eine ferne, anonyme Erinnerung, eine endlose Welle, die
heranwehte und zurückhaben und begraben wollte, was sie früher einmal
herangebracht und auf einer Insel vergessen hatte – ein bißchen Mensch und
Licht und Denken.
»Gute Nacht zum Trinken.«
»Ja – und eine schlechte, allein zu sein.«
Ravic schwieg eine Weile. »Daran haben wir uns alle
gewöhnen müssen«, sagte er dann. »Das, was uns früher einmal zusammenhielt, ist
heute zerstört. Wir sind heute auseinandergefallen wie eine Kette aus
Glasperlen, deren Band zerrissen ist. Nichts ist mehr fest.« Er goß sein Glas
aufs neue voll. »Als Junge habe ich einmal nachts auf einer Wiese geschlafen.
Es war Sommer, und der Himmel war
Weitere Kostenlose Bücher