Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
Vom Netzwerk:
sehr klar. Be­vor ich ein­sch­lief, sah ich den
Ori­on über den Wäl­dern am Ho­ri­zont ste­hen. Dann wach­te ich auf, mit­ten in der
Nacht – und der Ori­on stand auf ein­mal hoch über mir. Ich ha­be das nie
ver­ges­sen. Ich hat­te ge­lernt, daß die Er­de ein Stern ist und sich dreht; aber
ich hat­te es ge­lernt, wie man vie­les lernt, was in Bü­chern steht, und nie
dar­über nach­ge­dacht. Jetzt zum ers­ten­mal emp­fand ich, daß es wirk­lich so war.
Ich fühl­te, wie sie laut­los durch den un­ge­heu­ren Raum flog.
    Ich fühl­te es so stark, daß ich fast glaub­te, mich
fest­hal­ten zu müs­sen, um nicht her­un­ter­ge­schleu­dert zu wer­den. Es kam wohl,
weil ich, auf­ge­wacht aus tie­fem Schlaf, einen Au­gen­blick ver­las­sen von
Ge­dächt­nis und Ge­wohn­heit, in den rie­sig ver­scho­be­nen Him­mel sah. Die Er­de war
plötz­lich nicht mehr fest für mich – und sie ist es seit­dem nie wie­der ganz
ge­wor­den.«
    Er trank sein Glas aus. »Das macht man­ches schwe­rer und
vie­les leich­ter.« Er sah zu Jo­an Ma­dou hin­über. »Ich weiß nicht, wie weit Sie
sind«, sag­te er. »Wenn Sie mü­de sind, ant­wor­ten Sie ein­fach nicht mehr.‹.
    »Noch nicht. Bald. Es ist noch ei­ne Stel­le, die wach ist.
Wach und kalt.«
    Ra­vic stell­te die Fla­sche ne­ben sich auf den Bo­den. Aus
der Wär­me des Zim­mers si­cker­te lang­sam ei­ne brau­ne Mü­dig­keit in ihn hin­über.
Die Schat­ten ka­men. Das We­hen der Flü­gel. Ein frem­des Zim­mer, Nacht, und
drau­ßen – wie fer­ne Trom­meln – das mo­no­to­ne Klop­fen des Re­gens – ei­ne Hüt­te mit
et­was Licht am Ran­de des Cha­os, ein klei­nes Feu­er in der Wild­nis oh­ne Sinn –
ein Ge­sicht, ge­gen das man sprach.
    »Ha­ben Sie das auch ein­mal ge­spürt?« frag­te er.
    Sie schwieg ei­ne Wei­le. »Ja. Nicht so. An­ders. Wenn ich
ta­ge­lang mit nie­man­dem ge­spro­chen hat­te und nachts um­her­ging, und über­all wa­ren
Men­schen, die ir­gend­wo­hin ge­hör­ten, die ir­gend­wo­hin gin­gen, ir­gend­wo zu Hau­se
wa­ren. Nur ich nicht. Dann wur­de lang­sam al­les un­wirk­lich, als wä­re ich
er­trun­ken und gin­ge durch ei­ne frem­de Stadt un­ter Was­ser ...«
    Je­mand kam drau­ßen die Trep­pe hin­auf. Ein Schlüs­sel
klirr­te, und ei­ne Tür klapp­te. Gleich dar­auf rausch­te die Was­ser­lei­tung. »Warum
blei­ben Sie in Pa­ris, wenn Sie nie­mand hier ken­nen?« frag­te Ra­vic. Er fühl­te,
daß er schläf­rig wur­de.
    »Ich weiß nicht. Wo­hin soll ich sonst ge­hen?«
    »Ha­ben Sie nichts, wo­hin Sie zu­rück­ge­hen kön­nen?«
    »Nein. Man kann auch nir­gend­wo­hin zu­rück­ge­hen.«
    Der Wind jag­te einen
Re­gen­schau­er über das Fens­ter. »Wes­halb sind Sie nach Pa­ris ge­kom­men?« frag­te
Ra­vic.
    Jo­an Ma­dou ant­wor­te­te nicht. Er glaub­te schon, sie sei
ein­ge­schla­fen. »Rac­zins­ky und ich ka­men nach Pa­ris, weil wir uns tren­nen
woll­ten«, sag­te sie dann.
    Ra­vic hör­te es, oh­ne
über­rascht zu sein. Es gab Stun­den, wo einen nichts über­rasch­te. Im Zim­mer
ge­gen­über be­gann der Mann, der kurz vor­her ge­kom­men war, zu kot­zen. Man hör­te
sein Stöh­nen ge­dämpft durch die Tür.
    »Warum wa­ren Sie dann so ver­zwei­felt?« frag­te Ra­vic.
    »Weil er tot war! Tot! Plötz­lich nicht mehr da! Nie
zu­rück­zu­ho­len! Tot! Nie mehr et­was zu ma­chen! Ver­ste­hen Sie das nicht?« Jo­an
Ma­dou hat­te sich im Bett halb auf­ge­rich­tet und starr­te Ra­vic an. Weil er
fort­ge­gan­gen ist, be­vor du es tun konn­test. Weil er dich al­lein ge­las­sen hat,
be­vor du da­für be­reit warst.
    »Ich … ich hät­te an­ders sein sol­len zu ihm … ich war ...«
    »Ver­ges­sen Sie das. Reue ist das Nutz­lo­ses­te in der Welt.
Man kann nichts zu­rück­ho­len. Man kann nichts gut­ma­chen. Wir wä­ren sonst al­le
Hei­li­ge. Das Le­ben hat nicht be­ab­sich­tigt, uns voll­kom­men zu ma­chen. Wer voll­kom­men
ist, ge­hört in ein Mu­se­um.«
    Jo­an Ma­dou ant­wor­te­te nicht. Ra­vic sah, daß sie trank und
sich wie­der in die Kis­sen zu­rück­lehn­te. Da war noch et­was – aber er war zu
mü­de, um noch dar­über nach­zu­den­ken. Es war ihm auch gleich­gül­tig. Er woll­te
schla­fen. Mor­gen muß­te er ope­rie­ren. Dies al­les ging

Weitere Kostenlose Bücher