E.M. Remarque
Zigarette, die beim Sprechen an der Oberlippe
klebenblieb. Als Ravic eintrat, blieb er sitzen.
Lucienne lag im Bett. Sie war verwirrt und errötete.
»Doktor – ich wußte nicht, daß Sie heute kommen würden.« Sie sah nach dem
Burschen.
»Dies ist...«
»Irgend jemand«, unterbrach der Bursche sie grob. »Nicht
weiter nötig, mit Namen herumzuwerfen.« Er lehnte sich zurück. »So, Sie sind
also der Doktor?«
»Wie geht es, Lucienne?« fragte Ravic, ohne sich um ihn
zu kümmern. »Vernünftig, daß Sie noch im Bett liegen.«
»Sie könnte längst aufstehen«, erklärte der Bursche. »Ihr
fehlt nichts mehr. Wenn sie nicht arbeitet, kostet und kostet das nur.«
Ravic sah sich nach ihm um. »Gehen Sie mal ’raus«, sagte
er.
»Was?«
»’raus. Vor die Tür. Ich will Lucienne untersuchen.«
Der Bursche brach in ein Gelächter aus. »Das können Sie
auch so. Wir sind nicht so fein. Und wieso untersuchen? Sie waren ja erst
vorgestern hier. Das kostet dann wieder einen Besuch extra, was?«
»Bruder«, sagte Ravic ruhig. »Sie sehen nicht so aus, als
ob Sie es bezahlen. Und ob es was kostet, ist außerdem eine andere Sache. Und
nun verschwinden Sie.«
Der Bursche grinste und spreizte behaglich die Beine. Er
trug spitze Lackschuhe und violette Strümpfe.
»Bitte, Bobo«, sagte Lucienne. »Es dauert sicher nur
einen Augenblick.«
Bobo beachtete sie nicht. Er fixierte Ravic. »Ganz gut,
daß Sie da sind«, sagte er. »Da kann ich Ihnen gleich einmal Bescheid stoßen.
Wenn Sie vielleicht denken, mein Lieber, Sie könnten eine Rechnung schinden,
Hospital, Operation und so was – ist nicht! Wir haben nicht verlangt, daß sie
ins Hospital sollte – von Operation gar nicht zu reden, also mit großem Geld
ist Essig. Sie können sich noch freuen, daß wir keinen Schadenersatz
beanspruchen! Operation wider Willen.« Er zeigte eine Reihe fleckiger Zähne.
»Da staunen Sie, was? Ja. Bobo weiß Bescheid; er ist nicht so leicht anzuschmieren.«
Der Bursche sah sehr zufrieden aus. Er hatte das Gefühl,
sich glänzend herausgedreht zu haben. Lucienne war blaß geworden. Sie blickte
ängstlich von Bobo zu Ravic.
»Verstanden?« fragte Bobo triumphierend.
»War es der?« fragte Ravic Lucienne. Sie antwortete
nicht. »Der also«, sagte er und betrachtete Bobo.
Ein magerer, langer
Lümmel mit einem kunstseidenen Schal um den dünnen Hals, an dem der Adamsapfel
auf und ab stieg. Abfallende Schultern, eine zu lange Nase, ein degeneriertes
Kinn – ein Vorstadtzuhälter aus dem Buche.
»Was der also?« fragte Bobo herausfordernd.
»Ich habe Ihnen, glaube ich, jetzt oft genug gesagt, daß
Sie ’rausgehen sollen. Ich will untersuchen.«
»Merde«, erwiderte Bobo.
Ravic ging langsam auf ihn zu. Er hatte genug von Bobo.
Der Bursche sprang auf, wich zurück und hatte plötzlich einen dünnen Strick von
etwa einem Meter Länge in den Händen. Ravic wußte, was er wollte. Er hatte vor,
wenn Ravic näher kam, zur Seite zu springen, dann schnell hinter ihn, um ihm
dann den Strick über den Kopf zu streifen und ihn von hinten zu drosseln. Es
war gut, wenn der andere es nicht kannte oder zu boxen versuchte.
»Bobo«, rief Lucienne. »Bobo, nicht!«
»Du Rotzjunge«, sagte Ravic. »Der jämmerliche alte
Seiltrick – weiter weißt du nichts?« Er lachte.
Bobo war einen Moment verblüfft. Seine Augen wurden
unsicher. Ravic hatte ihm gleich darauf das Jackett mit beiden Händen über die
Schultern heruntergezogen, so daß er die Arme nicht mehr heben konnte. »Das
hier kanntest du wohl noch nicht?« sagte er, öffnete rasch die Tür und stieß
den überraschten, wehrlosen Burschen ziemlich grob hinaus. »Wenn du Lust auf so
was hast, werde Soldat, du Möchtegern-Apache! Aber belästige keine
Erwachsenen.«
Er schloß die Tür
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