E.M. Remarque
war irgendwo in der Vergangenheit. Ohne dich.
Dann, als der Abend kam, kam langsam die Wärme. Ich war nicht bei dir. Ich habe
an Kate Hegström gedacht.
»Joan«, sagte er und legte seine Hände über ihre Hände,
die sie auf den Sitz gestützt hatte. »Wir können noch nicht gleich zu mir
fahren. Ich muß noch einmal zur Klinik. Nur für einige Minuten.«
»Mußt du nach der Frau sehen, die du operiert hast?«
»Nicht nach der von heute morgen. Nach einer anderen.
Willst du irgendwo auf mich warten?«
»Mußt du gleich hingehen?«
»Es ist besser. Ich will nicht, daß man mich später
anruft.«
»Ich kann bei dir warten. Haben wir so viel Zeit, bei
deinem Hotel vorbeizufahren?«
»Ja.«
»Dann laß uns hinfahren. Du kommst dann später. Ich kann
auf dich warten.«
»Gut.« Ravic sagte dem Chauffeur die Adresse. Er lehnte
sich zurück und fühlte die Kante des Sitzes an seinem Nacken. Seine Hände waren
noch auf den Händen Joans. Er spürte, daß sie wartete, er solle etwas sagen.
Etwas über ihn und sie. Aber er konnte es nicht. Sie hatte schon zuviel gesagt.
Es war nicht so viel, dachte er.
Der Wagen hielt. »Fahr weiter«, sagte Joan. »Ich werde
schon hier fertig. Ich habe keine Angst. Gib mir nur deinen Schlüssel.«
»Der Schlüssel ist im Hotel.«
»Ich werde ihn mir geben lassen. Ich muß das lernen.« Sie
nahm die Blumen vom Boden. »Bei einem Mann, der mich verläßt, während ich
schlafe, und wiederkommt, wenn ich es nicht erwarte – ich muß da wohl manches
lernen. Laß mich gleich anfangen.«
»Ich werde mit dir hinaufgehen. Wir wollen nicht
übertreiben. Schlimm genug, daß ich dich gleich wieder allein lasse.«
Sie lachte. Sie sah sehr jung aus. »Warten Sie bitte
einen Moment«, sagte Ravic zu dem Chauffeur.
Der Mann schloß langsam ein Auge. »Auch länger.«
»Gib mir den Schlüssel«, sagte Joan, als sie die Treppe
hinaufgingen.
»Warum?«
»Gib ihn mir.«
Sie schloß die Tür auf. Dann blieb sie stehen. »Schön«,
sagte sie in das dunkle Zimmer hinein, in dem hinter dem Fenster ein kahler
Mond durch die Wolken schien.
»Schön? Diese Bude?«
»Ja, schön! Alles ist schön.«
»Jetzt vielleicht noch. Jetzt ist es dunkel. Aber …«
Ravic griff nach dem Lichtschalter.
»Laß. Ich mache das selbst. Und nun geh. Aber komm nicht
erst morgen mittag wieder.«
Sie stand an der Türöffnung im Dunkeln. Das silberne
Licht vom Fenster war hinter ihren Schultern und ihrem Kopf. Sie war undeutlich
und aufregend und geheimnisvoll. Ihr Mantel war hinuntergeglitten; er lag wie
ein Haufen schwarzer Schaum zu ihren Füßen. Sie lehnte in der Türöffnung, und
nur einer ihrer Arme fing einen langen Streifen Licht vom Korridor her. »Geh
und komm wieder«, sagte sie und schloß die Tür.
Das Fieber Kate Hegströms war heruntergegangen. »Ist sie
aufgewacht?« fragte Ravic die verschlafene Schwester.
»Ja. Um elf. Sie hat nach Ihnen gefragt. Ich habe ihr
gesagt, was Sie mir aufgetragen haben.«
»Hat sie etwas über die Verbände gesagt?«
»Ja. Ich habe ihr gesagt, Sie hätten schneiden müssen.
Eine leichte Operation. Sie würden es ihr morgen erklären.«
»Das war alles?«
»Ja. Sie sagte, wenn Sie es für richtig gehalten hätten,
wäre alles in Ordnung. Ich sollte Sie grüßen, wenn Sie noch einmal kämen, heute
nacht, und Ihnen sagen, sie vertraue Ihnen.«
»So ...«
Ravic stand eine Weile und sah auf das schwarze, gescheitelte
Haar der Schwester hinab. »Wie alt sind Sie?« fragte er dann.
Sie hob verwundert den Kopf. »Dreiundzwanzig.«
»Dreiundzwanzig. Und wie lange pflegen Sie schon?«
»Seit zweieinhalb Jahren. Im Januar werden es zweieinhalb
Jahre.«
»Lieben Sie Ihren Beruf?«
Die Schwester lächelte über ihr Apfelgesicht. »Ich habe
ihn gern«, erklärte sie redselig. »Manche Kranke sind natürlich anstrengend,
aber die meisten sind sehr nett. Madame
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