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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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von in­nen ab. »So, Lu­ci­enne«, sag­te er.
»Nun wol­len wir mal se­hen.«
    Sie zit­ter­te. »Ru­hig, ru­hig. Es ist schon vor­bei.« Er
nahm das ver­schlis­se­ne, baum­wol­le­ne Plu­meau und leg­te es auf den Stuhl. Dann
roll­te er die grü­ne De­cke zu­rück. »Py­ja­ma? Warum denn das? Es ist doch
un­be­que­mer. Sie sol­len sich noch nicht viel be­we­gen, Lu­ci­enne.«
    Sie schwieg einen Au­gen­blick. »Ich ha­be sie nur heu­te
an­ge­zo­gen«, sag­te sie dann.
    »Ha­ben Sie kei­ne Nacht­hem­den mehr? Ich kann Ih­nen zwei
von der Kli­nik schi­cken.«
    »Nein, nicht des­halb. Ich ha­be sie an­ge­zo­gen, weil ich
wuß­te …«, sie blick­te nach der Tür und flüs­ter­te, »… daß er kam. Er sagt, ich
wä­re nicht mehr krank. Er will nicht mehr war­ten.«
    »Was? Scha­de, daß ich das vor­her nicht ge­wußt ha­be.«
Ra­vic blick­te grim­mig nach der Tür. »Er wird war­ten!«
    Lu­ci­enne hat­te die sehr wei­ße Haut an­ämi­scher Frau­en. Die
Adern la­gen blau un­ter der dün­nen Ober­schicht. Sie war hübsch ge­wach­sen, mit
schma­len Kno­chen, schlank, aber nir­gend­wo ma­ger. Ei­nes der zahl­lo­sen Mäd­chen,
dach­te Ra­vic, bei de­nen man sich frag­te, warum die Na­tur den Auf­wand ge­macht
hat­te, sie so zier­lich zu bil­den – wenn man wuß­te, was aus fast al­len von ih­nen
wur­de – ein über­ar­bei­te­tes, durch falsches und un­ge­sun­des Le­ben rasch form­los
wer­den­des We­sen.
    »Sie müs­sen noch ei­ne Wo­che ziem­lich viel im Bett
lie­gen­blei­ben, Lu­ci­enne. Sie kön­nen auf­ste­hen und hier her­um­ge­hen. Aber sei­en
Sie vor­sich­tig; he­ben Sie nichts. Und stei­gen Sie kei­ne Trep­pen in den nächs­ten
Ta­gen. Ha­ben Sie je­mand, der nach Ih­nen sieht? Au­ßer die­sem Bo­bo?«
    »Die Ver­mie­te­rin. Aber die knurrt auch schon.«
    »Sonst nie­mand?«
    »Nein. Ma­rie war frü­her da. Sie ist tot.«
    Ra­vic mus­ter­te das Zim­mer. Es war ärm­lich und sau­ber. Vor
dem Fens­ter stan­den ein paar Fuch­si­en. »Und Bo­bo?« frag­te er. »Der ist al­so wie­der
auf­ge­taucht, nach­dem al­les vor­bei war ...«
    Lu­ci­enne ant­wor­te­te nicht.
    »Warum schmei­ßen Sie ihn nicht ’raus?«
    »Er ist nicht so schlecht, Dok­tor. Nur wild ...«
    Ra­vic sah sie an. Lie­be, dach­te er. Auch das ist Lie­be.
Das al­te Mi­ra­kel. Es wirft nicht nur den Re­gen­bo­gen der Träu­me an den grau­en
Him­mel der Tat­sa­chen – es ver­klärt so­gar einen Scheiß­hau­fen mit ro­man­ti­schem
Licht –; ein Wun­der und ein tol­ler Hohn. Er hat­te plötz­lich das son­der­ba­re
Ge­fühl, in ei­ner fer­nen Wei­se zum Mit­schul­di­gen ge­wor­den zu sein. »Gut,
Lu­ci­enne«, sag­te er. »Ma­chen Sie sich nichts dar­aus. Wer­den Sie nur erst
ge­sund.«
    Sie nick­te er­leich­tert. »Und das mit dem Geld«, sag­te sie
ver­le­gen und ei­lig, »das ist nicht wahr. Er hat das nur so ge­sagt. Ich wer­de
al­les be­zah­len. Al­les. In Ra­ten. Wann kann ich wie­der ar­bei­ten?«
    »In un­ge­fähr zwei Wo­chen, wenn Sie kei­nen Un­sinn ma­chen.
Und nichts mit Bo­bo! Ab­so­lut nichts, Lu­ci­enne! Sie kön­nen sonst ster­ben,
ver­ste­hen Sie?«
    »Ja«, er­wi­der­te sie oh­ne Über­zeu­gung.
    Ra­vic leg­te die De­cke über den schma­len Kör­per. Als er
auf­blick­te, sah er, daß sie wein­te. »Geht es nicht doch frü­her?« sag­te sie.
»Ich kann ja sit­zen, wenn ich ar­bei­te. Ich muß ...«
    »Viel­leicht. Wir wer­den se­hen. Es hängt da­von ab, wie Sie
sich ver­hal­ten. Sie soll­ten mir sa­gen, wie die Heb­am­me hieß, die den Ein­griff
ge­macht hat, Lu­ci­enne.«
    Er sah die Ab­wehr in ih­ren Au­gen. »Ich ge­he nicht zur
Po­li­zei«, sag­te er. »Be­stimmt nicht. Ich will nur ver­su­chen, das Geld
her­aus­zu­be­kom­men, das Sie ihr be­zahlt ha­ben, Sie kön­nen dann ru­hi­ger sein.
Wie­viel war es?«
    »Drei­hun­dert Frank. Sie wer­den es nie von ihr krie­gen.«
    »Man kann es ver­su­chen. Wie heißt sie, und wo wohnt sie?
Sie wer­den sie nie mehr brau­chen, Lu­ci­enne. Sie kön­nen kei­ne Kin­der mehr
be­kom­men. Und sie kann nichts ge­gen Sie tun.«
    Das Mäd­chen zö­ger­te. »In der Schub­la­de dort«, sag­te sie
dann. »Rechts in der Schub­la­de.«
    »Die­ser Zet­tel hier?« – »Ja.«
    »Gut. Ich

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