E.M. Remarque
an ihr nicht billig aus. Billig war nur, was man nicht
selbstverständlich trug, dachte Ravic. Er hatte schon billige Kronenzobel
gesehen.
»Dann werden wir Sie jetzt zu Ihrem Hotel bringen«, sagte
er, als sie draußen vor dem Eingang in dem leise sprühenden Regen standen.
Sie wandte sich langsam zu ihm. »Gehen wir nicht zu dir?«
Ihr Gesicht war dicht unter seinem, schräg aufwärts zu
ihm gerichtet. Das Licht von der Laterne vor der Tür lag voll darauf. Die
feinen Sprühperlen der Feuchtigkeit glitzerten in ihrem Haar.
»Ja«, sagte er.
Ein Taxi kam heran und hielt. Der Chauffeur wartete eine
Weile. Dann gab er einen schnalzenden Laut von sich, schaltete knarrend und
fuhr weiter.
»Ich habe auf dich gewartet. Wußtest du das?« fragte sie.
– »Nein.«
Ihre Augen glänzten im Widerschein der Laterne. Man
konnte hindurchsehen, und sie schienen nirgendwo aufzuhören. »Ich habe dich
heute erst gesehen«, sagte er. »Das früher warst du nicht.«
»Nein.«
»Das früher war alles nicht.«
»Nein. Ich habe es vergessen.«
Er fühlte die leichte Ebbe und Flut ihres Atems.
Unsichtbar bebte es ihm entgegen, sanft, ohne Schwere, bereit und voll
Vertrauen – ein fremdes Dasein in der fremden Nacht. Er spürte plötzlich sein
Blut. Es kam und kam und war mehr als das: Leben, tausendmal verflucht und
gegrüßt, oft verloren und wiedergewonnen – vor einer Stunde noch eine dürre
Landschaft, kahl, voll Gestern und ohne Trost – und jetzt wieder strömend und
nahe dem rätselhaften Augenblick, an den er nie mehr geglaubt hatte; man war
wieder der erste Mensch am Rande des Meeres, und aus den Fluten stieg es auf,
weiß und leuchtend, Frage und Antwort in einem, es kam und kam, und der Sturm
über den Augen begann …
»Halte mich«, sagte Joan. Er sah in ihr Gesicht
hinunter und legte den Arm um sie. Ihre Schultern kamen ihm entgegen wie ein
Schiff, das sich in einen Hafen legen will.
»Muß man dich halten?« fragte er.
»Ja.«
Ihre Hände lagen dicht zusammen an seiner Brust. »Ich
werde dich schon halten.«
»Ja.«
Ein zweites Taxi bremste quietschend an der Bordkante.
Der Chauffeur schaute ungerührt zu ihnen hinüber. Auf seiner Schulter saß ein
kleiner Hund, der eine Strickweste trug. »Taxi?« krächzte der Mann unter einem
langen, flächsernen Schnurrbart hervor.
»Sieh«, sagte Ravic. »Der dort weiß von nichts. Er weiß
nicht, daß uns etwas angerührt hat. Er sieht uns, und er sieht nicht, daß wir
uns verändert haben. Das ist das Verrückte in der Welt: Du kannst dich in einen
Erzengel, einen Narren oder einen Verbrecher verwandeln, niemand sieht es. Aber
wenn dir ein Knopf fehlt – das sieht jeder.«
»Es ist nicht verrückt. Es ist gut. Es läßt uns bei uns.«
Ravic sah sie an. Uns – dachte er. Welch ein Wort! Das
geheimnisvollste Wort der Welt.
»Taxi?« krächzte der Chauffeur ungeduldig, aber lauter,
und zündete sich eine Zigarette an.
»Komm«, sagte Ravic. »Den dort werden wir nicht los. Er
hat Berufserfahrung.«
»Wir wollen nicht fahren. Laß uns gehen.«
»Es fängt an zu regnen.«
»Das ist kein Regen. Das ist Nebel. Ich will kein Taxi.
Ich will mit dir gehen.«
»Gut. Aber dann will ich dem da drüben wenigstens
klarmachen, daß inzwischen hier etwas geschehen ist.«
Ravic ging hinüber und sprach mit dem Chauffeur. Der Mann
lächelte ein wunderschönes Lächeln, grüßte mit einer Geste, wie sie nur
Franzosen in solchen Augenblicken haben, zu Joan hin und fuhr ab.
»Wie hast du es ihm klargemacht«, fragte sie, als Ravic
zurückkam.
»Durch Geld. Es ist das einfachste. Nachtarbeiter und
Zyniker. Er verstand sofort. War wohlwollend mit einer Spur liebenswürdiger
Verachtung.«
Sie lächelte und lehnte sich an ihn. Er spürte, wie etwas
in ihm sich öffnete und ausbreitete, warm und weich und weit, etwas, das ihn
niederzog
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