E.M. Remarque
und drehte die Hähne auf. Das
Wasser schoß in das Waschbecken. Er löste seine Krawatte und betrachtete sich
abwesend im Spiegel. Prüfende Augen, die tief in den Schatten der Höhlen saßen;
ein schmales Gesicht, todmüde, wenn die Augen nicht gewesen wären; Lippen, die
zu weich waren für die Furchen, die von der Nase zum Mund heruntergerissen
waren – und über dem rechten Auge, zackig ins Haar verlaufend, die lange Narbe.
Das Telefon klirrte in seine Gedanken. »Verdammt!« Er
hatte eine Sekunde alles vergessen gehabt. Es gab solche Augenblicke des
Versinkens. Da war ja noch die Frau nebenan.
»Ich komme«, rief er.
»Erschrocken?« Er hob den Hörer ab. »Was? Ja. Gut … ja …
natürlich, ja … es wird gehen … ja. Wo? Gut, ich komme sofort. Heißen Kaffee,
starken Kaffee … ja ...«
Er legte den Hörer sehr behutsam zurück und blieb ein
paar Sekunden nachdenklich auf der Sofalehne sitzen. »Ich muß fort«, sagte er
dann. »Eilig.«
Die Frau stand sofort auf. Sie schwankte etwas und
stützte sich auf den Stuhl.
»Nein, nein …« Ravic
war einen Moment gerührt von dieser gehorsamen Bereitwilligkeit. »Sie können
hierbleiben. Schlafen Sie. Ich muß weg für ein, zwei Stunden; ich weiß nicht,
wie lange. Bleiben Sie nur hier.« Er zog seinen Mantel an. Flüchtig kam ihm ein
Gedanke. Er vergaß ihn sofort. Die Frau würde nicht stehlen. Sie war nicht der
Typ. Den kannte er zu gut. Es war auch nicht viel da zu stehlen.
Er war schon an der Tür, als die Frau fragte: »Kann ich
mitgehen?«
»Nein, unmöglich. Bleiben Sie hier. Nehmen Sie, was Sie
noch brauchen. Das Bett auch, wenn Sie wollen. Kognak steht drüben. Schlafen
Sie ...«
Er wandte sich um. »Lassen Sie das Licht brennen«, sagte
die Frau plötzlich und schnell.
Ravic ließ die Klinke los.
»Angst?« fragte er.
Sie nickte.
Er zeigte auf den
Schlüssel. »Schließen Sie die Tür hinter mir ab. Ziehen Sie den Schlüssel
heraus. Unten ist noch ein zweiter Schlüssel, mit dem ich hereinkommen kann.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht. Aber bitte,
lassen Sie das Licht brennen.«
»Ach so!« Ravic sah sie prüfend an. »Ich wollte es
sowieso nicht auslöschen. Lassen Sie es nur brennen. Ich kenne das. Habe auch
mal solche Zeiten gehabt.«
An der Ecke der Rue des Acacias kam ihm ein Taxi
entgegen. »Fahren Sie vierzehn Rue Lauriston. – Rasch!«
Der Chauffeur drehte um
und bog in die Avenue Carnot ein. Als er die Avenue le La Grande Armée kreuzte,
schoß von rechts ein kleiner Zweisitzer heran. Die beiden Wagen wären
zusammengestoßen, wenn die Straße nicht naß und glatt gewesen wäre. So
schleuderte der Zweisitzer beim Bremsen zur Mitte der Straße hinüber, gerade an
dem Kühler der Droschke vorbei. Der leichte Wagen drehte sich wie ein
Karussell. Es war ein kleiner Renault, in dem ein Mann saß, der eine Brille und
einen schwarzen, steifen Hut trug. Bei jeder Drehung sah man einen Augenblick
sein weißes entrüstetes Gesicht. Dann fing sich der Wagen und hielt auf den Arc
am Ende der Straße zu, wie auf das riesige Tor des Hades – ein kleines, grünes
Insekt, aus dem eine blasse Faust in den Nachthimmel drohte.
Der Taxichauffeur drehte sich um. »Haben Sie so was schon
mal gesehen?«
»Ja«, sagte Ravic.
»Aber mit so einem Hut. Was hat einer mit so einem Hut
nachts so schnell zu fahren?«
»Er hatte recht. Er war auf der Hauptstraße. Wozu
schimpfen Sie?«
»Natürlich hatte er
recht. Darum schimpfe ich ja gerade.« – »Was würden Sie denn tun, wenn er
unrecht hätte?«
»Dann würde ich auch schimpfen.«
»Sie scheinen sich das Leben bequem zu machen.«
»Ich würde anders schimpfen«, erklärte der Chauffeur und
bog in die Avenue Foch ein. »Nicht so erstaunt, verstehen Sie?«
»Nein. Fahren Sie langsamer an den Kreuzungen.«
»Das wollte ich sowieso. Verdammte Schmiere auf
Weitere Kostenlose Bücher