E.M. Remarque
Herr Doktor.«
»Auf Wiedersehen«, sagte Ravic. – »Entschuldigen Sie mein
Fluchen.«
»Guten Morgen«, erwiderte Eugenie eisig.
Veber schmunzelte.
»Ein Charakter aus Gußeisen.«
Es war grauer Morgen draußen. Die Müllabfuhrwagen
ratterten durch die Straßen. Veber schlug seinen Kragen hoch. »Ekelhaftes
Wetter! Soll ich Sie mitnehmen, Ravic?«
»Nein, danke. Ich will gehen.«
»Bei dem Wetter? Ich kann Sie vorbeifahren. Es ist kaum
ein Umweg.«
Ravic schüttelte den Kopf. »Danke, Veber.«
Veber sah ihn prüfend an. »Sonderbar, daß Sie sich immer
noch aufregen, wenn Ihnen jemand unter dem Messer bleibt. Sie sind doch schon
fünfzehn Jahre in der Kiste drin und kennen das.«
»Ja, ich kenne das. Ich rege mich auch nicht auf.«
Veber stand breit und behäbig vor Ravic. Sein großes,
rundes Gesicht leuchtete wie ein normannischer Apfel. Der schwarze, gestutzte
Schnurrbart war naß vom Regen und glitzerte. Am Bordrand stand ein Buick und
glitzerte ebenfalls. Darin würde Veber behaglich nach Hause fahren – in ein
rosafarbenes Puppenhaus in der Vorstadt, mit einer sauberen, blitzenden Frau
darin und zwei sauberen, blitzenden Kindern, mit einem sauberen, blitzenden
Dasein. Wie konnte man ihm etwas erklären von dieser atemlosen Spannung, wenn
das Messer zum ersten Schnitt ansetzte, wenn die schmale, rote Spur Blutes dem
leisen Druck folgte, wenn der Körper sich unter den Nadeln und Klammern wie ein
vielfacher Vorhang auseinanderfaltete, wenn Organe frei wurden, die nie Licht
gesehen hatten, wenn man wie ein Jäger im Dschungel einer Fährte folgte und
plötzlich in zerstörten Geweben, in Knollen, in Wucherungen, in Rissen ihm
gegenüberstand, dem großen Raubtier Tod – und den Kampf, in dem man nichts
anderes brauchen konnte als eine dünne Klinge und eine Nadel und eine unendlich
sichere Hand – wie sollte man ihm erklären, was es bedeutete, wenn dann durch
all das blendende Weiß höchster Konzentration auf einmal ein dunkler Schatten
in das Blut schlug, ein majestätischer Hohn, der das Messer stumpf zu machen
schien, die Nadel brüchig und die Hand schwer – und wenn dieses Unsichtbare,
Rätselhafte, Pulsierende: Leben, plötzlich fortebbte unter den machtlosen
Händen, zerfiel, angezogen von einem geisterhaften, schwarzen Strudel, den man
nicht erreichen und nicht bannen konnte, wenn aus einem Gesicht, das eben noch
atmete und Ich war und einen Namen trug, eine namenlose, starre Maske wurde –
diese sinnlose, rebellische Ohnmacht – wie konnte man sie erklären – und was
war daran zu erklären?
Ravic zündete sich eine neue Zigarette an. »Einundzwanzig
Jahre war das alt«, sagte er.
Veber strich sich mit einem Taschentuch die blanken
Tropfen vom Schnurrbart. »Sie haben großartig gearbeitet. Ich könnte das nicht.
Daß Sie nicht retten konnten, was ein Pfuscher versaut hat, das ist etwas, was
Sie nichts angeht. Wo kämen wir hin, wenn wir anders dächten?«
»Ja«, sagte Ravic. »Wo kämen wir hin?«
Veber steckte sein Taschentuch ein. »Nach allem, was Sie
mitgemacht haben, müßten Sie doch verdammt abgehärtet sein.«
Ravic sah ihn mit
einer Spur von Ironie an. »Abgehärtet ist man nie. Man kann sich nur an vieles
gewöhnen.«
»Das meine ich.«
»Ja, und an manches nie. Aber das ist schwer
herauszufinden. Nehmen wir an, es war der Kaffee. Vielleicht war es wirklich
der Kaffee, der mich so wach gemacht hat. Und wir verwechseln das mit
Aufregung.«
»Der Kaffee war gut, was?«
»Sehr.«
»Kaffeemachen verstehe ich. Ich hatte so eine Ahnung, daß
Sie ihn brauchten, deshalb habe ich ihn selbst gemacht. War was anderes als die
schwarze Brühe, die Eugenie gewöhnlich produziert, wie?«
»Nicht zu vergleichen. Im Kaffeemachen
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