E.M. Remarque
frei?« fragte er
den Burschen, der ihm öffnete.
Der Junge glotzte ihn verschlafen an. »Der Concierge ist
nicht da«, stotterte er schließlich.
»Das sehe ich. Ich habe dich gefragt, ob noch ein Zimmer
frei wäre.«
Der Bursche hob verzweifelt seine Schultern. Er sah, daß
Ravic eine Frau bei sich hatte, aber er verstand nicht, wozu er noch ein zweites
Zimmer wollte. Dazu brachte man Frauen seiner Erfahrung nach nicht mit. »Madame
schläft. Sie wirft mich ’raus, wenn ich sie wecke«, sagte er und kratzte sich
mit dem Fuß.
»Schön. Dann müssen wir selbst einmal nachsehen.«
Ravic gab dem Jungen ein Trinkgeld, nahm seinen Schlüssel
und ging der Frau voran die Treppe hinauf. Bevor er sein Zimmer aufschloß,
musterte er die Tür nebenan. Es standen keine Schuhe davor. Er klopfte zweimal.
Niemand antwortete. Er versuchte vorsichtig den Drücker. Die Tür war
verschlossen. »Gestern war die Bude leer«, murmelte er. »Wir wollen es einmal
von der anderen Seite versuchen. Die Wirtin hat sie wahrscheinlich
abgeschlossen, weil sie Angst hatte, daß die Wanzen entkommen.«
Er schloß sein Zimmer auf. »Setzen Sie sich einen
Augenblick.« Er zeigte auf ein rotes Roßhaarsofa. »Ich bin gleich zurück.«
Er öffnete eine
Fenstertür, die auf einen schmalen Eisenbalkon führte, kletterte über ein
Verbindungsgitter auf den Balkon daneben und versuchte die Tür. Sie war
ebenfalls abgeschlossen. Resigniert kehrte er zurück. »Es hilft nichts. Ich
kann Ihnen hier kein Zimmer verschaffen.«
Die Frau saß in der Ecke des Sofas. »Kann ich einen
Augenblick hier sitzen bleiben?«
Ravic sah sie aufmerksam an. Ihr Gesicht war zerfallen
vor Müdigkeit. Sie wirkte, als könne sie kaum noch aufstehen. »Sie können hier
bleiben«, sagte er.
»Nur einen Augenblick ...«
»Sie können hier schlafen. Das ist das einfachste.«
Die Frau schien ihn nicht zu hören. Sie bewegte langsam,
fast automatisch den Kopf. »Sie hätten mich auf der Straße lassen sollen. Jetzt
… ich glaube, ich kann jetzt nicht mehr.«
»Das glaube ich auch. Sie können hierbleiben und
schlafen. Das ist das beste. Morgen werden wir dann weitersehen.«
Die Frau sah ihn an. »Ich will Sie nicht ...«
»Mein Gott«, sagte Ravic. »Sie stören mich wirklich
nicht. Es ist nicht das erstemal, daß jemand hier über Nacht bleibt, weil er
nicht weiß, wohin. Das ist hier ein Hotel, wo Refugiés wohnen. Da kommt so
etwas fast jeden Tag vor. Sie können das Bett nehmen. Ich werde auf dem Sofa
schlafen. Ich bin das gewohnt.«
»Nein, nein – ich kann hier sitzen bleiben. Wenn ich nur
hier sitzen bleiben kann, das ist genug.«
»Gut, wie Sie wollen.«
Ravic zog seinen Mantel aus und hängte ihn auf. Dann nahm
er eine Decke und ein Kissen von seinem Bett und schob einen Stuhl neben das
Sofa. Er holte einen Frotteemantel aus dem Badezimmer und hängte ihn über den
Stuhl. »So«, sagte er, »das kann ich Ihnen geben. Wenn Sie wollen, können Sie
auch einen Pyjama haben. Drüben in der Schublade sind welche. Ich werde mich
nun nicht mehr um Sie kümmern. Sie können das Badezimmer jetzt haben. Ich habe
hier noch zu tun.« Die Frau schüttelte den Kopf.
Ravic blieb vor ihr stehen. »Den Mantel werden wir aber
ausziehen«, sagte er. »Er ist naß genug. Und die Mütze geben Sie auch einmal
her.«
Sie gab ihm beides. Er legte das Kissen in die Ecke des
Sofas. »Das ist für den Kopf. Der Stuhl hier, damit Sie nicht fallen, wenn Sie
schlafen.« Er schob ihn gegen das Sofa. »Und nun noch die Schuhe. Klatschnaß
natürlich. Gut für Erkältungen.« Er streifte sie ihr von den Füßen, holte aus
der Schublade ein paar kurze, wollene Strümpfe und zog sie ihr über. »So, jetzt
geht es einigermaßen. In kritischen Zeiten soll man auf etwas Komfort sehen.
Altes Soldatengesetz.«
»Danke«, sagte die Frau. »Danke.«
Ravic ging ins Badezimmer
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