E.M. Remarque
und der Eitelkeit eines
Amöben-Bewußtseins, das nicht untergehen will in einem größeren.
«Isabelle»,
sage ich. «Du süßes und geliebtes Leben, ich glaube, ich habe endlich gefühlt,
was Liebe ist! Es ist Leben, nichts als Leben, der höchste Griff der Welle nach
dem Abendhimmel, nach den verblassenden Sternen und nach sich selbst – der
Griff, der immer wieder vergeblich ist, der des Sterblichen nach dem
Unsterblichen – aber manchmal kommt der Himmel der Welle entgegen, und sie begegnen
sich für einen Augenblick, und dann ist es nicht mehr Piraterie des einen und
Versagen des andern, nicht mehr Mangel und Überfluß und Verfälschung durch
Poeten, es ist ...»
Ich
breche ab. «Ich weiß nicht, was ich rede», sage ich dann. «Es strömt und strömt,
und vielleicht ist Lüge dabei, aber dann ist es Lüge, weil Worte lügnerisch
sind und wie Tassen, mit denen man Springbrunnen auffangen will – aber du wirst
mich auch ohne Worte verstehen, es ist noch so neu für mich, daß ich es nicht
ausdrücken kann; ich wußte nicht, daß auch mein Atem lieben kann und meine
Nägel lieben können und sogar mein Tod lieben kann, und zum Teufel damit, wie
lange es dauert und ob ich es halten kann oder nicht und ob ich es ausdrücken
kann oder nicht ...»
«Ich
verstehe es», sagt Isabelle.
«Du
verstehst es?»
Sie
nickt. «Ich hatte schon Sorge um dich, Rudolf.»
Warum
sollte sie Sorge um mich haben, denke ich. Ich bin doch nicht krank. «Sorge?»
sage ich. «Warum Sorge um mich?»
«Sorge»,
wiederholt sie. «Aber jetzt habe ich keine mehr. Leb wohl, Rudolf.»
Ich
sehe sie an und halte ihre Hände fest. «Warum willst du weg? Habe ich etwas
Falsches gesagt?»
Sie
schüttelt den Kopf und versucht, ihre Hände loszumachen. «Doch!» sage ich. «Es
war falsch! Es war Hochmut, es waren Worte, es war Gerede ...»
«Mach
es doch nicht kaputt, Rudolf! Warum mußt du etwas, was du haben willst, immer
gleich kaputtmachen, wenn du es hast?»
«Ja»,
sage ich. «Warum?»
«Das
Feuer ohne Rauch und Asche. Mach es nicht kaputt. Leb wohl, Rudolf.»
Was
ist das? denke ich. Es ist wie auf dem Theater, aber es kann doch nicht sein!
Ist das ein Abschied? Aber wir haben doch schon so oft Abschied genommen, jeden
Abend! Ich halte Isabelle fest. «Wir bleiben zusammen», sage ich.
Sie
nickt und legt den Kopf an meine Schulter, und ich fühle plötzlich, daß sie
weint. «Wozu weinst du?» frage ich. «Wir sind doch glücklich!»
«Ja»,
sagt sie und küßt mich und macht sich los. «Lebe wohl, Rudolf.»
«Wozu
sagst du Lebewohl? Dies ist doch kein Abschied! Ich komme morgen wieder.»
Sie
sieht mich an. «Ach, Rudolf», sagt sie, als könne sie mir wieder etwas nicht
klarmachen. «Wie soll man denn sterben können, wenn man nicht Abschied nehmen
kann?»
«Ja»,
sage ich. «Wie? Ich verstehe das auch nicht. Weder das eine noch das andere.»
Wir
stehen vor dem Pavillon, in dem sie wohnt. Niemand ist in der Halle. Auf einem
der Korbsessel liegt ein sehr buntes Tuch.
«Komm»,
sagt Isabelle plötzlich.
Ich
zögere einen Augenblick, aber ich kann um nichts in der Welt jetzt wieder nein
sagen und gehe mit ihr deshalb die Treppe hinauf. Sie geht, ohne sich
umzusehen, in ihr Zimmer. Ich bleibe in der Tür stehen. Sie schleudert mit
einer raschen Bewegung die leichten goldenen Schuhe von ihren Füßen und legt
sich aufs Bett. «Komm!» sagt sie. «Rudolf!»
Ich
setze mich zu ihr. Ich will sie nicht noch einmal enttäuschen, aber ich weiß
auch nicht, was ich tun soll, und ich wüßte nicht, was ich sagen sollte, wenn
eine Schwester oder Wernicke hereinkäme. «Komm», sagt Isabelle.
Ich
lege mich zurück, und sie legt sich in meinen Arm.
«Endlich»,
murmelt sie. «Rudolf», und schläft nach wenigen tiefen Atemzügen ein.
Es
wird dunkel im Zimmer. Bleich steht das Fenster in der beginnenden Nacht. Ich
höre Isabelle atmen und ab und zu Murmeln aus den Nachbarzimmern.
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