E.M. Remarque
Plötzlich
wacht sie mit einem Ruck auf. Sie stößt mich von sich, und ich spüre, wie ihr
Körper steif wird. Sie hält den Atem an. «Ich bin es», sage ich. «Ich, Rudolf.»
«Wer?»
«Ich,
Rudolf. Ich bin bei dir geblieben.»
«Du
hast hier geschlafen?»
Ihre
Stimme ist verändert. Sie ist hoch und atemlos. «Ich bin hiergeblieben», sage
ich.
«Geh!»
flüstert sie. «Geh sofort!»
Ich
weiß nicht, ob sie mich erkennt. «Wo ist das Licht?»
«Kein
Licht! Kein Licht! Geh! Geh!»
Ich
stehe auf und taste mich zur Tür. «Habe keine Angst, Isabelle», sage ich.
Sie
regt sich auf ihrem Bett, als versuche sie, die Decke über sich zu ziehen. «So
geh doch!» flüstert sie mit ihrer hohen, veränderten Stimme. «Sie sieht dich
sonst, Ralph! Rasch!»
Ich
ziehe die Tür hinter mir zu und gehe die Treppe hinunter. Unten sitzt die
Nachtschwester. Sie weiß, daß ich Erlaubnis habe, Isabelle zu besuchen. «Ist
sie ruhig?» fragt sie.
Ich
nicke und gehe durch den Garten dem Tor zu, durch das die Gesunden herein- und
hinausgehen. Was war nun das wieder? denke ich. Ralph, wer mag das sein? Sie hat
mich noch nie so genannt. Und was meinte sie damit, daß man mich nicht sehen
sollte? Ich bin doch schon öfter abends in ihrem Zimmer gewesen.
Ich
gehe zur Stadt hinunter. Liebe, denke ich, und meine hochtrabenden Redensarten
fallen mir wieder ein. Ich fühle eine fast unerträgliche Sehnsucht und ein
fernes Grauen und etwas wie Flucht und gehe schneller und schneller, der Stadt
entgegen mit ihrem Licht, ihrer Wärme, ihrer Vulgarität, ihrem Elend, ihrer
Alltäglichkeit und ihrer gesunden Abkehr von Geheimnissen und vom Chaos, was
für einen Namen man ihm auch geben mag.
Nachts erwache ich von
vielen Stimmen. Ich öffne das Fenster und sehe, daß der Feldwebel Knopf nach
Hause gebracht wird. Das ist bisher noch nie geschehen; er ist bisher immer
noch mit eigener Kraft zurückgekommen, wenn ihm der Schnaps auch aus den Augen
lief. Er stöhnt stark. Rundum werden einige Fenster hell.
«Verfluchter
Saufbold!» kreischt es aus dem einen. Es ist die Witwe Konersmann, die dort auf
der Lauer liegt. Sie hat nichts zu tun und ist die Klatschtante der Straße. Ich
habe sie in Verdacht, daß sie auch Georg und Lisa längst beobachtet.
«Halten
Sie die Schnauze!» antwortet von der dunklen Straße ein anonymer Held.
Ich
weiß nicht, ob er die Witwe Konersmann kennt. Auf jeden Fall ergießt sich nach
einer Sekunde stummer Empörung ein solches Schimpfspülwasser über den Mann,
über Knopf, über die Sitten der Stadt, des Landes und der Menschheit, daß die
Straßte widerhallt. Endlich schweigt die Witwe. Ihre letzten Worte sind, daß
sie Hindenburg, den Bischof, die Polizei und die Arbeitgeber des unbekannten
Helden informieren werde. «Halten Sie die Schnauze, Sie ekelhafte Beißzange!»
erwidert der Mann, der ungewöhnlich widerstandsfähig zu sein scheint, unter dem
Schutz der Dunkelheit. «Herr Knopf ist schwer krank. Es wäre besser, Sie wären
es.»
Die
Witwe tobt sofort wieder los, mit doppelter Kraft, was keiner für möglich
gehalten hätte. Sie versucht, mit einer elektrischen Taschenlampe den
Missetäter vom Fenster aus zu erkennen; aber das Licht ist zu schwach.
«Ich
weiß, wer Sie sind!» zetert sie. «Sie sind Heinrich Brüggemann! Zuchthaus
werden Sie dafür bekommen, eine schutzlose Witwe zu beleidigen, Sie Mörder!
Schon Ihre Mutter ...»
Ich
höre nicht weiter zu. Die Witwe hat ein gutes Publikum. Fast alle Fenster sind
jetzt offen. Grunzen und Beifall tönen heraus. Ich gehe nach unten.
Knopf
wird gerade hereingeschleppt. Er ist weiß, Wasser läuft ihm über das Gesicht,
und der Nietzsche-Schnauzbart hängt feucht über die Lippen. Mit einem Schrei
macht er sich plötzlich frei, torkelt ein paar Schritte vorwärts und springt
unversehens auf den Obelisken zu. Er
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