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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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mei­ne ich nicht, Ru­dolf. Ich glau­be, es gibt
noch ein an­de­res Än­dern. Ein grö­ße­res. Ei­nes, das wie Ster­ben ist. Ich glau­be,
es ist Ster­ben.»
    Sie
schüt­telt den Kopf, oh­ne mich an­zu­se­hen. «Es riecht über­all da­nach», flüs­tert
sie. «Auch in den Bäu­men und im Ne­bel. Es tropft nachts vom Him­mel. Die
Schat­ten sind voll da­von. Und in den Ge­len­ken ist die Mü­dig­keit. Sie hat sich
hin­ein­ge­schli­chen. Ich ge­he nicht mehr gern, Ru­dolf. Es war schön mit dir, auch
wenn du mich nicht ver­stan­den hast. Du warst doch we­nigs­tens da. Sonst wä­re ich
ganz al­lein ge­we­sen.»
    Ich
weiß nicht, was sie meint. Es ist ein son­der­ba­rer Au­gen­blick. Al­les ist auf
ein­mal sehr still, kein Blatt regt sich, nur Isa­bel­les Hand mit den lan­gen
Fin­gern schwingt über den Rand des Korb­ses­sels, und lei­se klirrt das Arm­band
mit den grü­nen Stei­nen. Die un­ter­ge­hen­de Son­ne gibt ih­rem Ge­sicht ei­ne Far­be von
sol­cher Wär­me, daß es der Ge­gen­satz von je­dem Ge­dan­ken an Ster­ben ist – aber
trotz­dem ist mir, als brei­te sich wirk­lich ei­ne Küh­le aus wie ei­ne laut­lo­se
Furcht, als könn­te es sein, daß Isa­bel­le nicht mehr da wä­re, wenn der Wind
wie­der be­ginnt – aber dann weht er plötz­lich in den Kro­nen, er rauscht, der
Spuk ist vor­bei, und Isa­bel­le rich­tet sich auf und lä­chelt. «Es gibt vie­le
We­ge, zu ster­ben», sagt sie. «Ar­mer Ru­dolf! Du kennst nur einen. Glück­li­cher
Ru­dolf! Komm, laß uns ins Haus ge­hen.»
    «Ich
lie­be dich sehr», sa­ge ich.
    Sie
lä­chelt stär­ker. «Nen­ne es, wie du willst. Was ist der Wind und was ist die
Stil­le? So ver­schie­den sind sie und doch bei­de das­sel­be. Ich bin ei­ne Wei­le auf
den bun­ten Pfer­den des Ka­rus­sells ge­rit­ten und ha­be in den gol­de­nen Gon­deln mit
blau­em Samt ge­ses­sen, die sich nicht nur dre­hen, son­dern auch noch auf und
nie­der schwe­ben. Du liebst sie nicht, wie?»
    «Nein.
Ich ha­be frü­her lie­ber auf den la­ckier­ten Hirschen und Lö­wen ge­ses­sen. Aber mit
dir wür­de ich auch in Gon­deln fah­ren.»
    Sie
küßt mich. «Die Mu­sik!» sagt sie lei­se. «Und das Licht der Ka­rus­sells im Ne­bel!
Wo ist un­se­re Ju­gend ge­blie­ben, Ru­dolf?»
    «Ja,
wo?» sa­ge ich und spü­re plötz­lich Trä­nen hin­ter mei­nen Au­gen und be­grei­fe
nicht, warum. «Ha­ben wir ei­ne ge­habt?»
    «Wer
weiß das?»
    Isa­bel­le
steht auf. Über uns im Laub ra­schelt es. Im glü­hen­den Licht der spä­ten Son­ne
se­he ich, daß ein Vo­gel mir auf das Jackett ge­schis­sen hat. Un­ge­fähr da­hin, wo
das Herz ist. Isa­bel­le sieht es und biegt sich vor La­chen. Ich tup­fe mit mei­nem
Ta­schen­tuch die Lo­sung des sar­kas­ti­schen Buch­fin­ken fort. «Du bist mei­ne
Ju­gend», sa­ge ich. «Ich weiß es jetzt. Du bist al­les, was da­zu­ge­hört. Das ei­ne
und das an­de­re und noch vie­les mehr. Auch das, daß man erst weiß, was es war,
wenn es ei­nem ent­glei­tet.»
    Ent­glei­tet
sie mir denn? den­ke ich. Was re­de ich da­her? Hat­te ich sie denn je? Und warum
soll­te sie ent­glei­ten? Weil sie es sagt? Oder weil da plötz­lich die­se küh­le,
laut­lo­se Angst ist? Sie hat schon so vie­les ge­sagt, und ich ha­be schon so oft
Angst ge­habt. «Ich lie­be dich, Isa­bel­le», sa­ge ich. «Ich lie­be dich mehr, als
ich je ge­wußt ha­be. Es ist wie ein Wind, der sich er­hebt und von dem man
glaubt, er sei nur ein spie­le­ri­sches We­hen, und auf ein­mal biegt sich das Herz
dar­un­ter wie ei­ne Wei­de im Sturm. Ich lie­be dich, Herz mei­nes Her­zens, ein­zi­ge
Stil­le in all dem Auf­ruhr, ich lie­be dich, die du hörst, ob die Blu­me dürs­tet
und ob die Zeit mü­de ist wie ein Jagd­hund am Abend, ich lie­be dich, und es
strömt aus mir her­aus wie aus ei­nem so­eben auf­ge­schlos­se­nen Tor, hin­ter dem ein
un­be­kann­ter Gar­ten sich öff­net, ich ver­ste­he es noch nicht ganz und bin
er­staunt dar­über und schä­me mich noch et­was mei­ner großen Wor­te, aber sie
pol­tern her­aus und hal­len und fra­gen mich nicht, je­mand re­det aus mir, den ich
nicht ken­ne, und ich weiß nicht, ob es ein viert­klas­si­ger Me­lo­dra­ma­ti­ker ist
oder mein Herz, das kei­ne Angst mehr hat ...»
    Isa­bel­le
ist mit

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