E.M. Remarque
einem Ruck stehengeblieben. Wir sind in derselben Allee wie damals, als
sie nackt durch die Nacht zurückging; aber alles ist jetzt anders. Die Allee ist
voll vom roten Licht des Abends, voll von ungelebter Jugend, von Schwermut und
von einem Glück, das zwischen Schluchzen und Jubel schwankt. Es ist auch keine
Allee von Bäumen mehr; es ist eine Allee aus unwirklichem Licht, in dem die
Bäume wie dunkle Fächer sich zueinander neigen, um es zu halten, einem Licht,
in dem wir stehen, als wögen wir fast nichts, durchdrungen von ihm wie
Silvesterkarpfen vom Geiste des Rums, in dem sie baden und der sie durchdringt,
bis sie beinahe zerfallen.
«Du
liebst mich?» flüstert Isabelle.
«Ich
liebe dich, und ich weiß, ich werde nie wieder einen Menschen so lieben wie
dich, weil ich nie wieder so sein werde wie jetzt in diesem Augenblick, der
vergeht, während ich von ihm spreche, und den ich nicht halten kann, selbst
wenn ich mein Leben gäbe ...»
Sie
sieht mich mit großen, strahlenden Augen an. «Jetzt weißt du es endlich!»
flüstert sie. «Jetzt hast du es endlich gefühlt – das Glück ohne Namen und die
Trauer und den Traum und das doppelte Gesicht! Es ist der Regenbogen, Rudolf,
und man kann über ihn gehen, aber wenn man zweifelt, stürzt man ab! Glaubst du
es nun endlich?»
«Ja»,
murmle ich und weiß, daß ich es glaube und vor einem Augenblick auch geglaubt
habe und schon nicht mehr ganz glaube. Noch ist das Licht stark, aber an den
Rändern wird es bereits grau, dunkle Flecken schieben sich langsam hervor, und
der Aussatz der Gedanken bricht darunter wieder aus, nur verdeckt, aber nicht
geheilt. Das Wunder ist an mir vorübergegangen, es hat mich berührt, aber nicht
verändert, ich habe noch denselben Namen und weiß, daß ich ihn wohl bis ans
Ende meiner Tage mit mir herumschleppen werde, ich bin kein Phönix, die
Neugeburt ist nicht für mich, ich habe zu fliegen versucht, doch nun taumele
ich wie ein geblendetes schwerfälliges Huhn wieder zur Erde, zwischen die
Stacheldrähte zurück.
«Sei
nicht traurig», sagt Isabelle, die mich beobachtet hat.
«Ich
kann nicht auf Regenbögen gehen, Isabelle», sage ich. «Aber ich möchte es
gerne. Wer kann es?»
Sie
nähert ihr Gesicht meinem Ohr. «Niemand», flüstert sie.
«Niemand?
Du auch nicht?»
Sie
schüttelt den Kopf. «Niemand», wiederholt sie. «Aber es ist genug, wenn man
Sehnsucht hat.»
Das
Licht wird jetzt schnell grau. Irgendwann war das alles schon einmal so, denke
ich, doch ich kann mich nicht erinnern, wann. Ich fühle Isabelle nahe bei mir
und halte sie plötzlich in den Armen. Wir küssen uns wie Verfluchte und
Verzweifelte, wie Menschen, die für immer auseinandergerissen werden. «Ich habe
alles versäumt», sage ich atemlos. «Ich liebe dich, Isabelle.»
«Still!»
flüstert sie. «Spricht nicht ...»
Der
fahle Fleck am Ausgang der Allee beginnt zu glühen. Wir gehen auf ihn zu und
bleiben am Tor des Parkes stehen. Die Sonne ist verschwunden, und die Felder
sind ohne Farbe; dafür aber steht ein mächtiges Abendrot über dem Walde, und
die Stadt wirkt, als brenne es in den Straßen.
Wir
stehen eine Weile still. «Welch ein Hochmut», sagt Isabelle dann plötzlich. «Zu
glauben, daß ein Leben einen Anfang und ein Ende hat!»
Ich
verstehe sie nicht gleich. Hinter uns bereitet sich der Garten bereits für die
Nacht; aber vor uns, auf der anderen Seite des eisernen Gitters, flammt und
brodelt es in einer wilden Alchimie. Ein Anfang und ein Ende? denke ich, und
dann begreife ich, was sie meint; daß es Hochmut sei, ein kleines Dasein aus
diesem Brodeln und Zischen herausschneiden und abgrenzen zu wollen und unser
bißchen Bewußtsein zum Richter zu machen über seine Dauer, während es doch
höchstens eine Flocke ist, die kurze Zeit darin schwimmt. Anfang und Ende,
erfundene Worte eines erfundenen Begriffes Zeit
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