E.M. Remarque
getan hat,
während er geisteskrank war, beichten? Es wäre eine interessante Frage für mich
unaufgeklärten Protestanten.»
«Es
kommt darauf an, was man unter Geisteskrankheiten versteht», sage ich bitter
und schaue zu, wie der Seeleninstallateur ein Glas Schloß Reinhardtshauser heruntergießt.
«Wir haben da zweifellos verschiedene Auffassungen. Im übrigen: Wie kann man
beichten, was man vergessen hat? Denn vergessen hat Fräulein Terhoven ja wohl
manches plötzlich.»
Wernicke
schenkt sich und mir ein Glas ein. «Trinken wir den, bevor Hochwürden
erscheint. Weihrauchduft mag heilig sein, aber er verdirbt die Blume eines
solchen Weines.» Er nimmt einen Schluck, rollt die Augen und sagt: «Plötzlich
vergessen? War es so plötzlich? Es kündigte sich doch schon länger an.»
Er
hat recht. Ich habe es auch schon früher gemerkt. Es waren manchmal Augenblicke
da, wo Isabelle mich nicht zu erkennen schien. Ich erinnere mich an das letzte
Mal und trinke wütend den Wein aus. Er schmeckt mir heute nicht.
«Das
ist wie ein unterirdisches Beben», erklärt der erfolgstrotzende Wernicke. «Ein
Seebeben. Inseln, sogar Kontinente, die vorher da waren, verschwinden, und
andere tauchen wieder auf.»
«Und
wie ist es mit einem zweiten Seebeben? Geht es dann umgekehrt?»
«Es
kann auch das vorkommen. Aber das sind dann fast immer andere Fälle; solche,
die mit zunehmender Verblödung Hand in Hand gehen. Sie haben ja die Beispiele
davon hier gesehen. Wünschen Sie das für Fräulein Terhoven?»
«Ich
wünsche ihr das Beste», sage ich.
«Na,
also!»
Wernicke
schenkt den Rest des Weines ein. Ich denke an die trostlosen Kranken, die in
den Ecken herumstehen und -liegen, denen der Speichel aus dem Munde läuft und
die sich beschmutzen. «Natürlich wünsche ich ihr, daß sie nie wieder krank
wird», sage ich.
«Es
ist nicht anzunehmen. Wir hatten bei ihr einen der Fälle vor uns, die geheilt
werden können, wenn die Ursachen beseitigt worden sind. Alles ging sehr gut.
Mutter und Tochter haben das Gefühl, das manchmal durch den Tod in solchen
Situationen entsteht: in einer fernen Weise betrogen worden zu sein, und so
sind beide wie verwaist und dadurch enger zusammen als je vorher.»
Ich
starre Wernicke an. So poetisch habe ich ihn noch nie gehört. Er meint es auch
nicht ganz ernst. «Sie haben heute mittag Gelegenheit, sich davon zu
überzeugen», erklärt er. «Mutter und Tochter kommen zu Tisch.»
Ich
will weggehen; aber etwas zwingt mich, zu bleiben. Wenn der Mensch sich selbst
quälen kann, versäumt er so leicht keine Gelegenheit dazu. Bodendiek erscheint
und ist überraschend menschlich. Dann kommen Mutter und Tochter, und es beginnt
ein plattes, zivilisiertes Gespräch. Die Mutter ist etwa fünfundvierzig Jahre
alt, etwas voll, belanglos hübsch und angefüllt mit leichten, runden Phrasen,
die sie mühelos verteilt. Sie weiß auf alles sofort eine Antwort, ohne
nachzudenken.
Ich
betrachte Geneviève. Manchmal, ganz kurz, glaube ich in ihren Zügen wie eine
Ertrinkende das geliebte, wilde und verstörte andere Gesicht auftauchen zu
sehen; aber es verschwimmt gleich wieder im Plätschern des Gespräches über die
moderne Anlage des Sanatoriums, beide Damen gebrauchen kein anderes Wort, die
hübsche Aussicht, die alte Stadt, verschiedene Onkel und Tanten in Straßburg
und in Holland, über die schwere Zeit, die Notwendigkeit, zu glauben, die
Qualität der Lothringer Weine und das schöne Elsaß. Nicht ein Wort von dem, was
mich einst so bestürzt und erregt hat. Es ist versunken, als wäre es nie
dagewesen.
Ich
verabschiede mich bald. «Leben Sie wohl, Fräulein Terhoven», sage ich. «Wie ich
höre, reisen Sie diese Woche.»
Sie
nickt. «Kommen Sie heute abend nicht
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