E.M. Remarque
haben? denke ich. Ist es vielleicht in jedem von
uns, verschüttet, verborgen, und was ist es wirklich? Ist es dann nicht auch in
mir? Und ist es da auch schon zur Strecke gebracht worden, oder war es nie
frei? Ist es da, ist es etwas, das vor mir da war, das nach mir da sein wird,
etwas, das wichtiger ist als ich? Oder ist alles nur ein bißchen tiefgründig
scheinendes Durcheinander, eine Verschiebung der Sinne, eine Täuschung, Unsinn,
der wie Tiefsinn aussieht, wie Wernicke behauptet? Aber warum habe ich es dann
geliebt, warum hat es mich angesprungen wie ein Leopard einen Ochsen, warum
kann ich es nicht vergessen? War es nicht trotz Wernicke, als ob in einem
geschlossenen Raum eine Tür geöffnet worden wäre, und man hätte Regen und
Blitze und Sterne gesehen?
Ich
stehe auf. «Was ist los mit Ihnen?» fragt Wernicke. «Sie sind ja unruhig wie ...»
Er hält ein und fährt dann fort: «Wie der Dollarkurs.»
«Ach
der Dollar», sagt Genevièves Mutter und seufzt.
«Ein
Unglück! Zum Glück hat Onkel Gaston ...»
Ich
höre nicht mehr, was Onkel Gaston getan hat. Ich bin plötzlich draußen und weiß
nur noch, daß ich zu Isabelle gesagt habe: «Danke, für alles», und sie
verwundert gefragt hat: «Aber wofür nur?»
Ich
gehe langsam den Hügel hinunter. Gute Nacht, du süßes, wildes Herz, denke ich.
Leb wohl, Isabelle! Du bist nicht ertrunken, ich weiß das plötzlich. Du bist
nicht untergegangen und nicht gestorben! Du hast dich nur zurückgezogen, du
bist fortgeflogen, und nicht einmal das: du bist plötzlich unsichtbar geworden
wie die alten Götter, eine Wellenlänge hat sich geändert, du bist noch da, aber
du bist nicht mehr zu fassen, du bist immer da, und du wirst nie untergehen,
alles ist immer da, nichts geht jemals unter, Licht und Schatten nur ziehen
darüber hin, es ist immer da, das Antlitz vor der Geburt und nach dem Tode, und
manchmal scheint es durch in dem, was wir für Leben halten, und blendet uns
eine Sekunde, und wir sind nie ganz dieselben danach!
Ich
merke, daß ich rascher gehe. Ich atme tief, und dann laufe ich. Ich bin naß von
Schweiß, mein Rücken ist naß, ich komme zum Tor und gehe wieder zurück, ich
habe immer noch das Gefühl, es ist wie eine mächtige Befreiung, alle Achsen
laufen plötzlich durch mein Herz, Geburt und Tod sind nur Worte, die wilden
Gänse über mir fliegen seit dem Beginn der Welt, es gibt keine Fragen und keine
Antworten mehr! Leb wohl, Isabelle! Sei gegrüßt, Isabelle! Leb wohl, Leben! Sei
gegrüßt, Leben!
Viel
später merke ich, daß es regnet. Ich hebe mein Gesicht gegen die Tropfen und
schmecke sie. Dann gehe ich zum Tor. Nach Wein und Weihrauch duftend wartet
dort eine große Gestalt.
Wir
gehen zusammen durchs Tor. Der Wärter schließt es hinter uns. «Nun?» fragt
Bodendiek. «Wo kommen Sie her? Haben Sie Gott gesucht?»
«Nein.
Ich habe ihn gefunden.»
Er
blinzelt argwöhnisch unter seinem Schlapphut hervor.
«Wo?
In der Natur?»
«Ich
weiß nicht einmal, wo. Ist er an bestimmten Plätzen zu finden?»
«Am
Altar», brummt Bodendiek und deutet nach rechts. «Ich gehe diesen Weg. Und
Sie?»
«Jeden»,
erwidere ich. «Jeden, Herr Vikar.»
«So
viel haben Sie doch gar nicht getrunken», knurrt er etwas überrascht hinter mir
her.
Ich komme nach Hause.
Hinter der Tür springt jemand auf mich los. «Habe ich dich endlich, du
Schweinehund?»
Ich
schüttle ihn ab und glaube an irgendeinen Witz. Aber er ist im Augenblick
wieder hoch und rennt mir den Kopf gegen den Magen. Ich falle gegen den
Obelisken, kann dem Angreifer aber gerade noch einen Tritt in den Bauch geben.
Der Tritt ist nicht kräftig genug, da ich schon im Fallen bin. Der Mann stürzt
sich wieder auf mich, und ich erkenne den Pferdeschlächter Watzek.
«Sie
sind verrückt geworden?» frage ich. «Sehen Sie nicht, wen Sie anfallen?»
«Ich
sehe es schon!» Watzek packt mich
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