E.M. Remarque
sagt Karl Brill später gerührt zu mir.
«Ehrensache!
Aber wie war das mit der Kassiererin?»
«Was
soll man machen?» erwidert Karl. «Sie wissen, wie einem manchmal abends zumute
ist! Aber daß das Luder auch reden muß! Ich werde den Leuten meine Kundschaft
entziehen. Sie aber, lieber Freund – wählen Sie, was Sie wollen!» Er zeigt auf
die Lederstücke. «Ein Paar Maßschuhe erster Qualität als Geschenk – was Sie
wollen: Boxcalf schwarz, braun, gelb, Lack, Wildleder – ich werde sie selbst
anfertigen ...»
«Lack»,
sage ich.
Ich
komme nach Hause und sehe im Hof eine dunkle Gestalt. Es ist tatsächlich der
alte Knopf, der gerade vor mir eingetroffen ist und sich, als wäre er nicht
schon toterklärt, bereit macht, den Obelisken zu schänden. «Herr Feldwebel»,
sage ich und nehme ihn am Arm. «Sie haben für Ihre kindischen Äußerungen jetzt
Ihren eigenen Grabstein. Benützen Sie den!»
Ich
führe ihn zu dem Hügelstein, den er gekauft hat, und warte vor der Haustür,
damit er nicht noch den Obelisken benutzt.
Knopf
starrt mich an. «Meinen eigenen Stein? Sind Sie verrückt. Was ist er jetzt
wert?»
«Nach
dem Dollarkurs von heute abend neun Milliarden?»
«Und
daran soll ich pissen?»
Knopfs
Augen irren ein paar Sekunden umher – dann wankt er knurrend ins Haus. Was
niemand zuwege gebracht hat, hat der schlichte Begriff des Eigentums erreicht!
Der Feldwebel benützt seine eigene Toilette. Da komme noch einer mit
Kommunismus! Eigentum gibt Sinn für Ordnung!
Ich
stehe noch eine Weile da und denke darüber nach, daß die Natur von der Amöbe
her Millionen von Jahren gebraucht hat, um über Fisch, Frosch, Wirbeltier und
Affen den alten Knopf hervorzubringen, ein Geschöpf, vollgestopft mit
physikalischen und chemischen Wunderwerken, einem Blutkreislauf von höchster
Genialität, einer Herzmaschine, die man nur anbeten kann, einer Leber und zwei
Nieren, gegen die die IG Farbenfabriken lächerliche Pfuscherwerkstätten sind –
und das alles, dieses über Millionen von Jahren sorgfältig vervollkommnete Wunderwerk,
etatsmäßiger Feldwebel Knopf genannt, nur dazu, um für eine kurze Zeit auf
Erden armselige Bauernjungens zu schinden und sich dann mit einer mäßigen
Staatspension dem Trunke zu ergeben! Gott macht sich wirklich manchmal viel
Mühe um nichts!
Kopfschüttelnd
drehe ich das Licht in meinem Zimmer an und starre in den Spiegel. Da ist ein
anderes Wunderwerk der Natur, das auch nicht viel mit sich anzufangen weiß. Ich
drehe das Licht ab und ziehe mich im Dunkeln aus.
XXIII
In
der Allee
kommt mir eine junge Dame entgegen. Es ist Sonntag morgen, und ich habe sie
bereits in der Kirche gesehen. Sie trägt ein hellgraues, gut sitzendes
Jackenkleid, einen kleinen Filzhut, graue Wildlederschuhe, heißt Geneviève
Terhoven und ist mir sonderbar fremd.
Sie
war mit ihrer Mutter in der Kirche. Ich habe sie gesehen, und ich habe
Bodendiek gesehen und auch Wernicke, dem der Erfolg nur so von den Mundwinkeln
trieft. Ich habe den Garten umkreist und auf nichts mehr gehofft, und nun kommt
Isabelle plötzlich allein durch die Allee, die schon fast kahl ist. Ich bleibe
stehen. Sie kommt, schmal und leicht und elegant, und mit ihr kommt auf einmal
alle Sehnsucht wieder, der Himmel und mein eigenes Blut. Ich kann nicht
sprechen. Ich weiß von Wernicke, daß sie gesund ist, daß die Schatten verweht
sind, und ich spüre es selbst; sie ist auf einmal da, anders als früher, aber
ganz da, nichts von Krankheit steht mehr zwischen uns, voll springt die Liebe
aus meinen Händen und Augen, und ein Schwindel steigt wie ein lautloser
Wirbelsturm die Adern empor ins Gehirn. Sie sieht mich an.
«Isabelle»,
sage ich.
Sie
sieht mich wieder an, eine schmale Falte zwischen den Brauen. «Ja?» fragt sie.
Ich
fasse es nicht
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