E.M. Remarque
Isabelle, Jugend, mit deiner Mutter dahinter, mit dem
Bankbuchhalter Gottes, Bodendiek, dahinter, mit dem Major der Vernunft,
Wernicke, dahinter, mit der großen Verwirrung dahinter und dem ewigen Krieg,
ich trinke und sehe gegenüber, links von mir, die Kreis-Hebammenanstalt, in der
noch ein paar Fenster hell sind und in der Mütter gebären, und es fällt mir
erst jetzt auf, daß sie so nahe bei der Irrenanstalt liegt – dabei kenne ich
sie und sollte sie auch kennen, denn ich bin in ihr geboren worden und habe bis
heute kaum je daran gedacht! Sei gegrüßt auch du, trautes Heim, Bienenstock der
Fruchtbarkeit, man hat meine Mutter zu dir gebracht, weil wir arm waren und das
Gebären dort umsonst war, wenn es vor einem Lehrgang werdender Hebammen
geschah, und so diente ich schon bei meiner Geburt der Wissenschaft! Gegrüßt
sei der unbekannte Baumeister, der dich so sinnvoll nahe dem anderen Gebäude
gesetzt hat! Wahrscheinlich hat er es ohne Ironie getan, denn die besten Witze
der Welt werden immer von ernsthaften Vordergrundmenschen gemacht. Immerhin –
laßt uns unsere Vernunft feiern, aber nicht zu stolz auf sie sein und ihrer
nicht zu sicher! Du, Isabelle, hast sie zurückbekommen, dieses Danaergeschenk,
und oben sitzt Wernicke und freut sich und hat recht. Aber recht zu haben ist
jedesmal ein Schritt dem Tode näher. Wer immer recht hat, ist ein schwarzer
Obelisk geworden! Ein Denkmal!
Die
Flasche ist leer. Ich werfe sie fort, so weit ich kann. Sie fällt mit einem
dumpfen Laut in den weichen, aufgepflügten Acker. Ich stehe auf. Ich habe genug
getrunken und bin reif für die Rote Mühle. Riesenfeld gibt dort heute einen
vierfachen Abschieds- und Lebensretterabend. Georg wird da sein, Lisa, und dazu
komme ich, der noch ein paar Privatabschiede zu erledigen gehabt hat, und wir
alle werden außerdem noch einen mächtigen allgemeinen Abschied feiern – den von
der Inflation.
Spät in der Nacht
bewegen wir uns wie ein betrunkener Trauerzug die Große Straße entlang. Die
spärlichen Laternen flackern. Wir haben das Jahr etwas vorzeitig zu Grabe
getragen. Willy und Renée de la Tour sind zu uns gestoßen. Willy und Riesenfeld
sind in einen heftigen Kampf geraten; Riesenfeld schwört auf das Ende der
Inflation und auf die Roggenmark – und Willy hat erklärt, daß er dann bankrott
sei, schon deshalb könne es nicht sein. Renée de la Tour ist darauf sehr
schweigsam geworden.
Durch
die wehende Nacht sehen wir in der Ferne einen zweiten Zug. Er kommt die Große
Straße entlang auf uns zu. «Georg», sage ich. «Wir wollen die Damen etwas
zurücklassen! Das dort sieht nach Streit aus.»
«Gemacht.»
Wir
sind in der Nähe des Neumarkts. «Wenn du siehst, daß wir unterliegen, renne
sofort zum Café Matz», instruiert Georg Lisa. «Frage nach Bodo Ledderhoses
Gesangverein und sag, wir brauchten ihn.» Er wendet sich zu Riesenfeld: «Sie
stellen sich besser so, als gehörten Sie nicht zu uns.»
«Du
türmst, Renée», erklärt Willy an ihrer Seite. «Halte dich weit vom Schuß!»
Der
andere Zug ist herangekommen. Die Mitglieder tragen Stiefel, die große
Sehnsucht des deutschen Patrioten, und sie sind, bis auf zwei, nicht älter als
achtzehn bis zwanzig Jahre. Dafür sind sie doppelt so viele wie wir.
Wir
gehen aneinander vorbei. «Den roten Hund kennen wir doch!» schreit plötzlich
jemand. Willys Haarkrone leuchtet auch nachts. «Und den Kahlkopf!» schreit ein
zweiter und zeigt auf Georg. «Drauf!»
«Los,
Lisa!» sagt Georg.
Wir
sehen ihre wirbelnden Absätze. «Die Feiglinge wollen die Polizei holen», ruft
ein semmelblonder Brillenträger und will hinter Lisa hersetzen. Willy stellt
ein Bein vor, und der Semmelblonde stürzt. Gleich darauf sind wir im Gefecht.
Wir
sind fünf ohne Riesenfeld.
Weitere Kostenlose Bücher