E.M. Remarque
auf Lisas Rückkehr warten will. Ich schaue
auf die Uhr; es ist halb zwölf. Die Nacht ist warm, und Watzek kann es Stunden
draußen aushalten. Lisa dagegen ist schon ziemlich lange bei Georg; das heisere
Fauchen der Liebe ist bereits verstummt, und wenn sie dem Schlächter in die
Arme läuft, wird sie zwar eine glaubhafte Erklärung finden, und er wird
wahrscheinlich darauf hereinfallen – aber besser ist es doch, wenn das nicht
passiert.
Ich
schleiche hinunter und klopfe den Anfang des Hohenfriedberger Marsches an
Georgs Tür. Sein kahler Kopf erscheint. Ich berichte, was los ist. «Verdammt»,
sagte er. «Sieh zu, daß du ihn dort wegbringst.»
«Um
diese Zeit?»
«Versuch
es! Laß deinen Charme spielen.»
Ich
schlendere nach draußen, gähne, bleibe stehen und wandere dann zu Watzek
hinüber. «Schöner Abend», sage ich.
«Schöner
Abend, Scheiße», erwidert Watzek.
«Das
auch», gebe ich zu.
«Es
wird nicht mehr lange dauern», sagt Watzek plötzlich scharf.
«Was?»
«Was?
Sie wissen das doch genau! Die Schweinerei! Was sonst?»
«Schweinerei?»
frage ich alarmiert. «Wieso?»
«Na,
was sonst? Finden Sie das etwa nicht?»
Ich
blicke auf das Messer im Stiefel und sehe Georg bereits mit durchschnittener
Kehle zwischen den Denkmälern liegen. Lisa natürlich nicht; das ist die alte
Idiotie des Mannes. «Wie man es nimmt», sage ich diplomatisch. Ich verstehe
nicht ganz, weshalb Watzek nicht längst in Georgs Fenster geklettert ist. Es
liegt im Parterre und ist offen.
«Das
alles wird bald anders werden», erklärt Watzek grimmig. «Blut wird fließen. Die
Schuldigen werden büßen.»
Ich
sehe ihn an. Er hat lange Arme an seinem gedrungenen Körper und sieht überaus
kräftig aus. Ich könnte ihm mit dem Knie gegen das Kinn stoßen und ihm dann,
wenn er hochtaumelt, einen zweiten Stoß zwischen die Beine versetzen – oder
aber, wenn er losrennt, kann ich ihm ein Bein stellen und seinen Schädel ein
paarmal gründlich aufs Pflaster schlagen. Das würde im Augenblick genügen –
aber was später?
«Haben
Sie ihn gehört?» fragt Watzek.
«Wen?»
«Sie
wissen doch! Ihn! Wen sonst? Es gibt doch nur einen!»
Ich
lausche. Ich habe nichts gehört. Die Straße ist still. Georgs Fenster ist jetzt
vorsichtig zugezogen worden.
«Wen
soll ich gehört haben?» frage ich laut, um Zeit zu gewinnen und den andern ein
Zeichen zu geben, damit Lisa in den Garten verschwindet.
«Mensch,
ihn! Den Führer! Adolf Hitler!»
«Adolf
Hitler!» wiederhole ich erlöst. «Den?»
«Was,
den?» fragt Watzek herausfordernd. «Sind Sie nicht für ihn?»
«Und
wie! Gerade jetzt! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr!»
«Warum
haben Sie ihn dann nicht gehört?»
«Er
war doch nicht hier.»
«Er
war am Radio. Wir haben ihn auf dem Schlachthof gehört. Sechsröhrenapparat. Er
wird alles ändern! Wunderbare Rede! Der Mann weiß, was los ist. Alles muß
anders werden!»
«Das
ist klar», sage ich. In dem einen Satz steckt das gesamte Rüstzeug aller
Demagogen der Welt. «Alles muß anders werden! Wie wäre es mit einem Bier?»
«Bier?
Wo?»
«Bei
Blume, um die Ecke.»
«Ich
warte auf meine Frau.»
«Auf
die können Sie bei Blume auch warten. Worüber hat Hitler gesprochen? Ich möchte
das gerne genau wissen. Mein Radio ist kaputt.»
«Über
alles», sagt der Schlächter und erhebt sich. «Der Mann weiß alles! Alles, sage
ich Ihnen, Kamerad!»
Er
stellt den Stuhl in den Hausflur, und wir wandern einträchtig dem Dortmunder
Bier in der Gartenwirtschaft Blume entgegen.
X
Der Mann aus Glas
steht bewegungslos in der milden Dämmerung vor einem Rosenbeet. Gregor der
Siebente geht in der Kastanienallee spazieren. Eine ältere Schwester führt
einen gebeugten Greis mit langen Haaren herum, der sie immer wieder in den
kräftigen Hintern zu kneifen versucht und jedesmal
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