E.M. Remarque
willst?»
Eduard
sieht aus, als ob er einen Schlaganfall kriegen wird. «Gib die Marken her,
Schuft», sagt er dumpf.
Ich
trenne sie ab und lege die Papierstückchen auf den Tisch. «Wer hier der Schuft
war, steht sehr zur Debatte, du verhinderter Don Juan», sage ich.
Eduard
nimmt die Marken nicht selbst auf. «Freidank», sagt er, diesmal tonlos vor Wut.
«Werfen Sie diese Fetzen in den Papierkorb.»
«Halt»,
sage ich und greife nach dem Menü. «Wenn wir schon zahlen, haben wir noch das
Recht auf ein Dessert. Was möchtest du, Gerda? Rote Grütze oder Kompott?»
«Was
empfehlen Sie, Herr Knobloch?» fragt Gerda, die nicht weiß, was für ein Drama
in Eduard vorgegangen ist.
Eduard
macht eine verzweifelte Geste und geht ab. «Also Kompott!» rufe ich ihm nach.
Er
zuckt kurz und geht dann weiter, als schliche er über Eier. Jede Sekunde
erwartet er die Kasernenhofstimme.
Ich
überlege, verzichte aber dann darauf, als noch wirksamere Taktik. «Was ist auf
einmal hier los?» fragt die ahnungslose Gerda.
«Nichts»,
erwidere ich unschuldig und teile das Hühnerskelett zwischen uns auf.
«Lediglich ein kleines Muster für die These des großen Clausewitz über
Strategie: Greife den Gegner an, wenn er glaubt, gesiegt zu haben, und dann da,
wo er es am wenigsten vermutet.»
Gerda
nickt verständnislos und ißt ihr Kompott, das Freidank respektlos vor uns
hinschmeißt. Ich sehe ihr gedankenvoll zu und beschließe, sie nie wieder in das
«Walhalla» zu führen und von nun an dem eisernen Gesetz Georgs zu folgen: Zeige
einer Frau nichts Neues, dann will sie auch nicht dahin und läuft dir nicht
weg.
Es
ist
Nacht. Ich lehne in meiner Bude am Fenster. Der Mond scheint, der schwere
Geruch des Flieders weht aus den Gärten, und ich bin vor einer Stunde aus dem
Altstädter Hof nach Hause gekommen. Ein verliebtes Paar huscht die Straßenseite
entlang, die im Mondschatten liegt, und verschwindet in unserm Garten. Ich tue
nichts dagegen; wer selbst nicht dürstet, ist friedfertig, und die Nächte sind
jetzt unwiderstehlich. Damit nichts passiert, habe ich allerdings vor einer
Stunde an die beiden kostbaren Kreuzdenkmäler ein Schild gehängt mit der
Aufschrift: «Achtung! Kann umfallen! Zerschmettert die Zehen!» Aus
irgendwelchen Gründen bevorzugen nämlich die Liebenden die Kreuze, wenn der
Boden zu feucht ist; wahrscheinlich, weil sie sich besser daran festhalten
können, obschon man glauben könnte, daß mittlere Hügelsteine ebenso vorteilhaft
wären. Ich hatte den Gedanken, ein zweites Schild mit einer Empfehlung dafür
aufzuhängen, habe es aber nicht getan. Frau Kroll ist manchmal früh auf, und
sie würde mich, bei aller Toleranz, ohrfeigen wegen Frivolität, bevor ich ihr
erklären könnte, daß ich vor dem Kriege ein prüder Mensch war – eine
Eigenschaft, die mir bei der Verteidigung unseres geliebten Vaterlandes
abhanden gekommen ist.
Plötzlich
sehe ich eine quadratische Gestalt schwarz durch den Mondschein heranstampfen.
Ich erstarre. Es ist der Roßschlächter Watzek. Er verschwindet in seiner
Wohnung, zwei Stunden zu früh. Vielleicht sind ihm die Gäule ausgegangen;
Pferdefleisch ist heute ein sehr beliebter Artikel. Ich beobachte die Fenster.
Sie werden hell, und Watzeks Schatten spukt umher. Ich überlege, ob ich Georg
Kroll Bescheid sagen soll; aber es ist ein undankbares Geschäft, Liebende zu
stören, und außerdem kann es sein, daß Watzek, ohne nachzudenken, schlafen
geht. Das scheint aber nicht so zu werden. Der Schlächter öffnet das Fenster
und starrt rechts und links die Straße entlang. Ich höre ihn schnaufen. Er
schließt die Läden, und nach einer Weile erscheint er vor der Tür, einen Stuhl
in der Hand, sein Fleischermesser im Stiefelschaft. Er setzt sich auf den
Stuhl, und es sieht aus, als ob er
Weitere Kostenlose Bücher