E.M. Remarque
es nicht
mehr», sagt sie.
«Ich
liebe dich.»
Sie
läßt sich neben mich sinken. Ihre Augen sind jetzt geschlossen. Es wird
dunkler, und ich sehe den Mann aus Glas langsam wieder vorüberstelzen. Eine
Schwester sammelt ein paar alte Leute ein, die gebeugt und unbeweglich wie
dunkle Bündel Trauer auf Bänken gesessen haben. «Es ist Zeit», sagt sie in
unsere Richtung.
Ich
nicke und bleibe sitzen. «Sie rufen», flüstert Isabelle. «Man kann sie nie
finden. Wer hat so viele Tränen?»
«Niemand»,
sage ich. «Niemand in der Welt, geliebtes Herz.»
Sie
antwortet nicht. Sie atmet wie ein müdes Kind neben mir. Dann hebe ich sie auf
und trage sie durch die Allee zum Pavillon zurück, in dem sie wohnt.
Als
ich sie herunterlasse, stolpert sie und hält sich an mir fest. Sie murmelt
etwas, das ich nicht verstehe, und läßt sich hineinführen. Der Eingang ist hell
erleuchtet von einem schattenlosen, milchigen Licht. Ich setze sie in einen
Korbstuhl in der Halle. Sie liegt mit geschlossenen Augen darin, als wäre sie
von einem unsichtbaren Kreuz abgenommen. Zwei Schwestern in schwarzer Tracht
kommen vorbei. Sie sind auf dem Wege zur Kapelle. Einen Augenblick sieht es
aus, als wollten sie Isabelle abholen und begraben. Dann kommt die weiße Wärterin
und nimmt sie mit.
Die Oberin hat uns
eine zweite Flasche Mosel gegeben. Bodendiek ist zu meinem Erstaunen trotzdem
gleich nach dem Essen verschwunden. Wernicke bleibt sitzen. Das Wetter ist
beständig, und die Kranken sind so ruhig, wie sie sein können.
«Warum
tötet man die nicht, die völlig hoffnungslos sind?» frage ich.
«Würden
Sie sie töten?» fragt Wernicke zurück.
«Das
weiß ich nicht. Es ist dieselbe Frage wie bei einem langsam hoffnungslos
Sterbenden, von dem man weiß, daß er nur noch Schmerzen haben wird. Würden Sie
ihm eine Spritze geben, damit er ein paar Tage weniger leide?»
Wernicke
schweigt.
«Zum
Glück ist Bodendiek nicht hier», sage ich. «Wir können uns also die moralische
und religiöse Erörterung schenken. Ich hatte einen Kameraden, dem der Bauch
aufgerissen war wie ein Fleischerladen. Er flehte uns an, ihn zu erschießen.
Wir brachten ihn zum Lazarett. Er schrie dort noch drei Tage; dann starb er.
Drei Tage sind eine lange Zeit, wenn man vor Schmerzen brüllt. Ich habe viele
Menschen krepieren sehen. Nicht sterben – krepieren. Allen hätte geholfen
werden können mit einer Spritze. Meiner Mutter auch.»
Wernicke
schweigt.
«Gut»,
sage ich. «Ich weiß: Das Leben in einem Geschöpf zu beenden ist immer wie ein
Mord. Seit ich im Kriege war, töte ich sogar ungern eine Fliege. Trotzdem hat
mir das Stück Kalb heute abend gut geschmeckt, das man getötet hat, damit wir
es essen. Das sind die alten Paradoxe und verhinderten Schlußfolgerungen. Das
Leben ist ein Wunder, auch in einem Kalb und in einer Fliege. Besonders in
einer Fliege – dieser Akrobatin mit ihren Tausenden von Augenfacetten. Es ist
immer ein Wunder. Aber es wird immer beendet. Warum töten wir im Frieden einen
kranken Hund und nicht einen wimmernden Menschen? Aber wir morden Millionen in
nutzlosen Kriegen.»
Wernicke
gibt immer noch keine Antwort. Ein großer Käfer summt um die Lampe. Er stößt
gegen die Birne, fällt, krabbelt, fliegt wieder hoch und umkreist das Licht
aufs neue. Seine Erfahrung benutzt er nicht.
«Bodendiek,
der Beamte der Kirche, hat natürlich auf alles eine Antwort», sage ich. «Tiere
haben keine Seele, Menschen haben eine. Aber wo bleibt das Stück Seele, wenn
eine Windung des Gehirns beschädigt wird? Wo ist das Stück, wenn jemand ein
Idiot wird? Ist es schon im Himmel? Oder wartet es irgendwo auf den
verkümmerten Rest, der einen Menschenkörper noch sabbern, essen und ausscheiden
läßt? Ich habe einige Ihrer Fälle im
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