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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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es nicht
mehr», sagt sie.
    «Ich
lie­be dich.»
    Sie
läßt sich ne­ben mich sin­ken. Ih­re Au­gen sind jetzt ge­schlos­sen. Es wird
dunk­ler, und ich se­he den Mann aus Glas lang­sam wie­der vor­über­stel­zen. Ei­ne
Schwes­ter sam­melt ein paar al­te Leu­te ein, die ge­beugt und un­be­weg­lich wie
dunkle Bün­del Trau­er auf Bän­ken ge­ses­sen ha­ben. «Es ist Zeit», sagt sie in
un­se­re Rich­tung.
    Ich
ni­cke und blei­be sit­zen. «Sie ru­fen», flüs­tert Isa­bel­le. «Man kann sie nie
fin­den. Wer hat so vie­le Trä­nen?»
    «Nie­mand»,
sa­ge ich. «Nie­mand in der Welt, ge­lieb­tes Herz.»
    Sie
ant­wor­tet nicht. Sie at­met wie ein mü­des Kind ne­ben mir. Dann he­be ich sie auf
und tra­ge sie durch die Al­lee zum Pa­vil­lon zu­rück, in dem sie wohnt.
    Als
ich sie her­un­ter­las­se, stol­pert sie und hält sich an mir fest. Sie mur­melt
et­was, das ich nicht ver­ste­he, und läßt sich hin­ein­füh­ren. Der Ein­gang ist hell
er­leuch­tet von ei­nem schat­ten­lo­sen, mil­chi­gen Licht. Ich set­ze sie in einen
Korb­stuhl in der Hal­le. Sie liegt mit ge­schlos­se­nen Au­gen dar­in, als wä­re sie
von ei­nem un­sicht­ba­ren Kreuz ab­ge­nom­men. Zwei Schwes­tern in schwar­zer Tracht
kom­men vor­bei. Sie sind auf dem We­ge zur Ka­pel­le. Einen Au­gen­blick sieht es
aus, als woll­ten sie Isa­bel­le ab­ho­len und be­gra­ben. Dann kommt die wei­ße Wär­te­rin
und nimmt sie mit.
    Die Oberin hat uns
ei­ne zwei­te Fla­sche Mo­sel ge­ge­ben. Bo­den­diek ist zu mei­nem Er­stau­nen trotz­dem
gleich nach dem Es­sen ver­schwun­den. Wer­ni­cke bleibt sit­zen. Das Wet­ter ist
be­stän­dig, und die Kran­ken sind so ru­hig, wie sie sein kön­nen.
    «Warum
tö­tet man die nicht, die völ­lig hoff­nungs­los sind?» fra­ge ich.
    «Wür­den
Sie sie tö­ten?» fragt Wer­ni­cke zu­rück.
    «Das
weiß ich nicht. Es ist die­sel­be Fra­ge wie bei ei­nem lang­sam hoff­nungs­los
Ster­ben­den, von dem man weiß, daß er nur noch Schmer­zen ha­ben wird. Wür­den Sie
ihm ei­ne Sprit­ze ge­ben, da­mit er ein paar Ta­ge we­ni­ger lei­de?»
    Wer­ni­cke
schweigt.
    «Zum
Glück ist Bo­den­diek nicht hier», sa­ge ich. «Wir kön­nen uns al­so die mo­ra­li­sche
und re­li­gi­öse Er­ör­te­rung schen­ken. Ich hat­te einen Ka­me­ra­den, dem der Bauch
auf­ge­ris­sen war wie ein Flei­scher­la­den. Er fleh­te uns an, ihn zu er­schie­ßen.
Wir brach­ten ihn zum La­za­rett. Er schrie dort noch drei Ta­ge; dann starb er.
Drei Ta­ge sind ei­ne lan­ge Zeit, wenn man vor Schmer­zen brüllt. Ich ha­be vie­le
Men­schen kre­pie­ren se­hen. Nicht ster­ben – kre­pie­ren. Al­len hät­te ge­hol­fen
wer­den kön­nen mit ei­ner Sprit­ze. Mei­ner Mut­ter auch.»
    Wer­ni­cke
schweigt.
    «Gut»,
sa­ge ich. «Ich weiß: Das Le­ben in ei­nem Ge­schöpf zu be­en­den ist im­mer wie ein
Mord. Seit ich im Krie­ge war, tö­te ich so­gar un­gern ei­ne Flie­ge. Trotz­dem hat
mir das Stück Kalb heu­te abend gut ge­schmeckt, das man ge­tö­tet hat, da­mit wir
es es­sen. Das sind die al­ten Pa­ra­do­xe und ver­hin­der­ten Schluß­fol­ge­run­gen. Das
Le­ben ist ein Wun­der, auch in ei­nem Kalb und in ei­ner Flie­ge. Be­son­ders in
ei­ner Flie­ge – die­ser Akro­ba­tin mit ih­ren Tau­sen­den von Au­gen­fa­cet­ten. Es ist
im­mer ein Wun­der. Aber es wird im­mer be­en­det. Warum tö­ten wir im Frie­den einen
kran­ken Hund und nicht einen wim­mern­den Men­schen? Aber wir mor­den Mil­lio­nen in
nutz­lo­sen Krie­gen.»
    Wer­ni­cke
gibt im­mer noch kei­ne Ant­wort. Ein großer Kä­fer summt um die Lam­pe. Er stößt
ge­gen die Bir­ne, fällt, krab­belt, fliegt wie­der hoch und um­kreist das Licht
aufs neue. Sei­ne Er­fah­rung be­nutzt er nicht.
    «Bo­den­diek,
der Be­am­te der Kir­che, hat na­tür­lich auf al­les ei­ne Ant­wort», sa­ge ich. «Tie­re
ha­ben kei­ne See­le, Men­schen ha­ben ei­ne. Aber wo bleibt das Stück See­le, wenn
ei­ne Win­dung des Ge­hirns be­schä­digt wird? Wo ist das Stück, wenn je­mand ein
Idi­ot wird? Ist es schon im Him­mel? Oder war­tet es ir­gend­wo auf den
ver­küm­mer­ten Rest, der einen Men­schen­kör­per noch sab­bern, es­sen und aus­schei­den
läßt? Ich ha­be ei­ni­ge Ih­rer Fäl­le im

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